1886 - Das Lorenzkloster in Calbe/Milde (Laurentiuskloster)
Auszug aus dem 21. Jahresbericht des Altmärkischen Geschichtsvereins von 1886
Die erste geschichtliche Frage, welche in den Jahresberichten des Altmärkischen Geschichtsvereins behandelt worden ist, betrifft das Lorenzkloster zu Calbe. Die Frage ist, ob dies von dem Bischof Thietmar von Merseburg zweimal erwähnte Kloster, dessen Güter der Bischof Reinhard von Halberstadt im Jahre 1121 dem Lorenzkloster zu Schöningen übereignete, in Calbe an der Milde oder in Calbe an der Saale zu suchen ist. (So viel ich sehe, hat nur Tune in den Memorab. Schening. 5. 52, welchem Böttger, die Brunonen S. 103 in der Anmerkung folgt, ohne irgend einen Beweis dafür beizubringen, behauptet, das betr. Kloster habe vor Schöningen gelegen, wo die Vorstadt Ostendorf den Namen Calbe geführt hätte.)
Die Behandlung dieser Frage in dem 1. Jahresbericht des Altmärkischen Geschichtsvereins aus dem Jahre 1838 S. 13-17 hat zu dem Resultat geführt, daß mehr Gründe dafür zu sprechen scheinen, daß das Lorenzkloster an der Milde, als daß es an der Saale zu suchen sei. In einem zweiten Aufsatz (5. Jahresbericht vom Jahre 1842 S. 45-55) behandelt derselbe Verfasser, der um die Erforschung der altmärkischen Geschichte hochverdiente Professor Danneil einen für die Beantwortung der vorliegenden Frage äußerst wichtigen speciellen Punkt, nämlich die Grenzbestimmung des Verdenschen und Halberstädter Sprengels in der Altmark, und gelangt auch da zu dem Resultat, daß das fragliche Lorenzkloster in Calbe an der Milde gelegen haben müsse.
Mehr als vierzig Jahre sind seit den genannten Erörterungen der vorliegenden Frage verflossen; wohl ist sie von den Geschichtsforschern hier und da gestreift; aber zu einer vollständigen und gründlichen Behandlung ist es nicht gekommen. Inzwischen haben die neueren geschichtlichen Forschungen manche Momente zu Tage gefördert, welche für die Beurteilung unserer Frage von Wichtigkeit sind, und so soll denn diese Frage im Nachfolgenden einer erneuten zusammenfassen den Untersuchung unterzogen werden. Ueber die Gründung dieses Klosters verlautet weiter nichts Zuverlässiges, als die Bemerkung der erwähnten Urkunde vom Jahre 1121, daß die aus königlichem Geschlecht entsprossene Gräfin Oda seligen Andenkens ein Nonnenkloster an einem Orte Namens Calvo gegründet habe. Wer war diese Oda? Die bei weitem berühmteste Trägerin dieses Namens war die Gemahlin des Sachsenherzogs Ludolf, eine Tochter des Grafen Billung, im Jahre 806 geboren und 107 Jahre alt im Jahre 913 gestorben. In Gemeinschaft mit ihrem Gemahl gründete sie im Jahre 856 das Kloster Gandersheim. Nun hat man in der Tat in eben dieser Oda die Gründerin auch des Klosters zu Calbe erkennen wollen, so 10 der Verfasser eines Aufsatzes in den Braunschweigischen Anzeigen von 1748 Stück 74. Ja, es würde nicht nur die Gründerin, sondern auch das Gründungsjahr des Klosters zu Calbe verbürgt sein, mehr noch, es würde die ganze uns beschäftigende Frage zu Gunsten von Calbe an der Milde mit einem Schlage entschieden sein, wenn eine Stelle der von Harenberg in den Monum. inedit. 1758 herausgegebenen Fasti Corbejenses unverdächtig wäre; diese Stelle lautet: „885 gründet die Gräfin Oba, eine Enkelin des Königs Pipin von Italien durch seine Tochter, die Witwe des Herzogs Ludolf, in Calbe an dem Mildeflusse ein Nonnenkloster zu Ehren des hl. Laurentius." (Oda comitissa, Pipini regis Italiae ex filia neptis, Hliudolfi ducis vidua, in Calve ad flumen Milde fundat sanctimonialium eccle-siam in honorem S. Laurentii.)
Darnach würde also das Kloster gerade vor 1.000 Jahren gegründet sein. Aber es ist erwiesen (vgl. Wiegand, Archiv für die Geschichte und Alterthumskunde Westfalens V. 11), daß diese Stelle einer von den aus andern Urkunden und Annalen zusammengetragenen Zusätze ist, welche den Haren berg'schen Abdruck der Fasti Corbejenses als Quelle fast unbenutzbar machen; es wird die vorliegende Stelle besonders dadurch verdächtig, daß Oda die Enkelin des Königs Pipin, eines Sohnes Karls des Großen, genannt wird. Denn da Pipin im Jahre 776 und Oda im Jahre 806 geboren ist, so würden zwischen den beiden Geburtsjahren nur 30 Jahre liegen, ein Zeitraum zu kurz für das angegebene Verwandtschaftsverhältnis.
Geschichtlich fest aber steht allerdings, daß Oda durch ihre Mutter Ada aus einem sehr vornehmen fränkischen Geschlechte stammte.( Agii vita Hathumodae (Monum. Germ. Script. IV. p. 167): Mater (seil, Oda) ex nobilissima aeque Francorum prosapia descen-dens in prole nobilior effulsit. )
Und abgesehen von der Unwahrscheinlichkeit, daß Oda eine Enkelin Pipins war, würden innere Gründe gegen die in der cit. Stelle gemachten Angaben nicht sprechen.
Sind wir hinsichtlich der der Gründung des Klosters zu Calbe, abgesehen von dem Namen der Gründerin, nur auf Vermuthungen angewiesen, so tritt dies Kloster in das Licht der Geschichte im Jahre 979. Der Bischof Thietmar von Merseburg erzählt in seiner Chronik (Monum. Germ. Script. III; deutsch in den Geschichtsschreibern der deutschen Vorzeit Lief. 4) Buch IV Cap. 36, daß der erste christliche Polenherzog Miseco nach dem Tode seiner Gemahlin Dobrawa eine Nonne aus dem Kloster Calva heimgeführt habe, eine Tochter des Markgrafen Thiedrich, und zwar ohne päpstliche Erlaubniß (absque canonica auctoritate). „Sie hieß da, und groß war ihr Frevel; denn sie hatte den himmlischen Bräutigam verschmäht und ihm einen Kriegsmann vorgezogen. Das mißfiel allen Kirchenhäuptern und am meisten ihrem Bischofe, dem ehrwürdigen Hiliward. Allein zum Heile des Vaterlandes und zur Befestigung des nöthigen Friedens kam es darüber nicht zum Bruche, sondern es wurde ein Förderungsmittel beständigen Friedens. Denn durch sie (sc. Oda) ward die Schaar der Jünger Christi vergrößert, die Menge der Gefangenen in das Vaterland zurückgeführt, den Gebundenen die Fessel gelöst und den Schuldigen der Kerker geöffnet."
Weiter erzählt Thietmar von ihr, daß sie ihrem Gemahle drei Söhne geboren habe und bis zu seinem Tode dort in großen Ehren von allen geliebt und überall Segen spendend gelebt habe. Nach dem im Jahre 992 erfolgten Lobe Tode des Miseco sei sie mit ihren Söhnen von Bolislav, dem Sohne Misecos aus erster Ehe, vertrieben worden. Ihre letzten Tage scheint sie in Quedlinburg zugebracht zu haben; wenigstens berichten die Quedlinburger Annalen zum Jahre 1023 (Monum. Germ. III. p. 52): „Die sehr fromme Herrin Oda, die erstgeborene Tochter des Markgrafen Theodorich, wird nach Ablegung des Leibes dem Himmel zurückgegeben" (ho mine exuta redditur coelo). (Ebendaselbst war ihre Schwester Othellulda im Jahre 1020 gestorben efr. Böttger, die Brunonen S. 374 Anm. 565. Im Jahre 1018 wurde ihre Nichte Thiatburg, Tochter des Markgrafen Bernhard, dort Ronne. Böttger 1. c. Anm. 568.)
Bemerkt mag noch werden, daß Oda, die Tochter des Markgrafen Thiedrich, im fünften Gliede von Oda, der Gemahlin des Herzogs Ludolf von Sachsen, abstammte (Böttger, die Brunonen S. 350 ff.), und daß auch eine andere Tochter des Markgrafen Thiedrich, Mathilde, ob gleich sie Nonne war, heirathete (Thietmar V, 42). Für die Beantwortung der uns beschäftigenden Frage ist nun hauptsächlich der Umstand von Wichtigkeit, daß Thietmar unter den Kirchenfürsten, welche die Heirath der Nonne Oda mißbilligten, den Bischof Hilliward von Halberstadt als ihren Bischof hervorhebt. Daraus folgt, daß das Kloster Calbe im Halberstädter Sprengel gelegen haben muß. Dem entspricht auch der Umstand, daß der Bischof von Halberstadt im Jahre 1121 die Übereignung der Güter des aufgehobenen Lorenzklosters zu Calbe an das Lorenzkloster zu Schöningen vollzieht. Nun steht aber geschichtlich fest, daß Calbe an der Saale zwar anfänglich zum Bisthum Halberstadt gehört hat, dann aber bei der im Jahre 968 erfolgten Gründung des Erzbisthums Magdeburg zu diesem geschlagen ist, so daß 11 Jahre später der Bischof von Halberstadt nicht mehr als der Bischof (antistes) des dortigen Klosters hätte bezeichnet werden können. Aber auch angenommen, von Ledebur (Neue Mittheilungen aus dem Gebiet historisch antiquarischer Forschungen von Förstemann Bd. 5 S. 77 ff.) hätte mit seiner Behauptung Recht, daß das frühere Verhältnis, in welchem Calbe an der Saale zum Bisthum Halberstadt stand, den Thietmar zu seiner (wir fügen hinzu: immerhin irrthümlichen) Äußerung hätte veranlassen und dieselbe recht fertigen können, so bleibt doch unerklärlich, wie der Bischof von Halberstadt im Jahre 1121 ein Dispositionsrecht über das Kloster zu Calbe an der Saale ausüben konnte, wenn dasselbe schon seit 968 zu dem Erzbisthum Magdeburg gehörte. Es kann daher für Calbe an der Saale nur noch der Umstand geltend gemacht werden, daß sich in der dortigen Bernburger Vorstadt noch jetzt eine Lorenzkirche findet. Aber auch dies ist kein entscheidendes Moment. Schon im 1. Jahresbericht des Altmärk. Geschichtsvereins S. 16 f. ist erwähnt, daß sich im Kirchenbuche von Calbe an der Milde zum 23. März 1737 die Notiz findet, daß der alte sogenannte St. Lorenzkirchhof vor dem Salzwedeler Thor von der Bürgerschaft zur Anlage eines neuen Kirchhofes verlangt werde. Nach der Matrikel von 1600 hat der Schulmeister eine Worth bei St. Lorenz Kirchhof. Und wenn in dem 1. Jahresberichte aus dem Lorenzkirchhof auf eine Lorenzkirche geschlossen wird, die in Calbe an der Milbe existiert haben müsse, so hat dieser Schluß seine volle Bestätigung durch die im Codex diploma-ticus Alvenslebianus III. p. 30 ff. abgedruckte Urkunde von 1507 gefunden, worin es ausdrücklich heißt, daß der Pfarrer am St. Laurentiustage in der St. Laurentii-Kapelle Messe halten soll.( In der wiederholt erwähnten Urkunde von 1121 wird bestimmt, daß gottesdienstliche Feiern an der Stelle des aufgehobenen Nonnenklosters nur mit Genehmigung des Propstes und der Brüderschaft des Klosters zu Schöningen zulässig seien. Diese Genehmigung muß also für die spätere Errichtung der Lorenzkapelle ertheilt worden sein.)
Aber das ist nun die Frage: Hat Calbe an der Milde im Bisthum Halberstadt gelegen? Bekanntlich hat die Milde (ursprünglich Rodowe genannt), weiterhin die Biese und der Aland
die Grenze zwischen dem Bisthum Halberstadt und dem Bisthum Verden gebildet, so daß ersteres auf dem rechten Ufer, letzteres auf dem linken Ufer dieser Flüsse zu suchen ist. Nun liegt Calbe aus dem linken Ufer der Milde, und es würde daraus folgen, daß es zum Bisthum Verden gehört hat. Dieser Folgerung tritt Danneil im 1. Jahresbericht 5. 15 mit der Behauptung entgegen, daß die Flüsse nicht im strengsten Sinne die Grenze bildeten, und beruft sich dafür auf Gardelegen, welches an der linken Seite der Milde gelegen, dennoch unbestritten zum Halberstädter Sprengel gehörte.
Er sagt ferner, daß der größte Theil von Calbe auf der östlichen (rechten) Seite eines Armes der Milde liegt. Er hätte sich mit größerem Rechte denn dieser Arm der Milde ist augenscheinlich zur Befestigung der Stadt um dieselbe herumgeführt darauf berufen können, daß der für die ältere Zeit von Calbe wichtigste Theil, die Burg auf dem rechten Ufer der Milde lag, daß ferner die Flüsse vielfach ihren Lauf geändert haben z. B. der Aland, der früher unterhalb Werben in die Elbe mündete, ja daß die Milde selber, soweit sie die Feldmark Calbe durchfließt, augenscheinlich ein künstliches Flußbett erhalten hat. Danneil fügt noch hinzu, daß urkundliche Beweise dafür, daß Calbe an der Milde im Verdenschen Sprengel gelegen habe, nicht bekannt geworden seien; im 5. Jahresbericht 6. 45 ff. aber glaubt er den positiven Beweis dafür beibringen zu können, daß Calbe an der Milde in der That im Halberstädter Sprengel gelegen habe. Er findet diesen Beweis darin, daß im Jahre 1551 eine zweite Kirchen-Visitation in Salzwedel stattgefunden habe, zu welcher sämtliche Ortschaften der Probstei Salzwedel nach dem Hauptorte beordert wurden. Aus dem Verzeichnisse dieser Ortschaften lerne man also den Umfang der zum Bisthum Verden gehörigen Propstei Salzwedel genau kennen; in diesem Verzeichnisse fehle nun Calbe mit dem ganzen Calbeschen Werder; somit könne Calbe mit den den dazu gehörigen Ortschaften nur dem Bisthum Halberstadt angehört haben. So scheinbar diese Beweisführung auf. den ersten Anblick ist, so hat doch schon C. v. Bennigsen in der Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen Jahrgang 1867. 96 f. gewichtige Bedenken dagegen erhoben. Für das Fehlen mehrerer Ortschaften, die unzweifelhaft dem Verdenschen Sprengel angehörten, weiß Danneil selbst aus reichende Gründe anzuführen, z. B. von Beetzendorf sagt er, daß es wohl deshalb fehle, weil in katholischen Zeiten dort ein Burgpfaffe wohnte, der in größerer Unabhängigkeit vom Archidiakonus zu Salzwedel stand; aus demselben Grunde fehle Aulosen, und Seehausen, weil dort selbst ein Propst, aber ohne die Rechte eines Archidiakonus auszuüben, residierte. Sollten nicht ähnliche Gründe haben maßgebend sein können, um das Fehlen von Calbe mit seinen Dörfern bei der Visitation zu erklären? Doch wir sind nicht auf Vermuthungen und Wahrscheinlichkeiten angewiesen. Die von Danneil im 1. Jahresberichte noch vermißten urkundlichen Beweise dafür, daß Calbe an der Milde zum Verdenschen Sprengel gehört habe, sind inzwischen erbracht. In dem 1. Heft der von W. v. Hodenberg herausgegebenen Verdener Geschichtsquellen fin den sich S. 91-99 die petitiones prepositure Soltwedel aus den Jahren 1419-1431 d. h. ein Verzeichnis der Einkünfte, welche der Propst zu Salzwedel in seiner Eigenschaft als Archidiakonus des Bisthums Verden von den ihm unter gebenen Ortschaften bezog. Diese Einkünfte sind nach Stücken Geldes (frusta) berechnet, d. h. nach gewissen Quantitäten Korns oder anderer Dinge von demselben Werthe. Nach dem Landbuch der Mark Brandenburg von Fidicin S. 7 7 konnte ein frustum betragen 1 Pfund oder 20 Schilling brandenburgisches Silber, oder 1 Wispel Roggen oder Gerste, oder 16 Scheffel Weizen, oder 12 Scheffel Erbsen oder 2 Wispel Hafer oder 2 Schock Hühner. Solcher frusta ober Stücke Geldes hatte nun Altmersleben an die Propstei Salzwedel 6 zu entrichten, Dolchau 6, Güssefeld 6, Hagenau 6, Jeetze 7, Calbe 12, ebenba die Altäre des Laurentius 4, des Antonius 5, des Nicolaus 6, der seligen Maria 6, der 3 Könige 6; ferner Mehrin 6, Plate 5, Packebusch 5 und Siepe 6. Dadurch ist der unzweifelhafte Beweis erbracht, daß zu Anfang des 15. Jahrhunderts Calbe und der Calbesche Werder unter der Propstei Salzwedel stand und somit dem Bisthum Verden angehörte. Dieser Beweis läßt sich gerade für Calbe noch durch die bereits angeführte Urkunde von 1507 (Cod. dipl. Alvensl. III. p. 36) vervollständigen. Darin wird bestimmt, daß, wenn der Pfarrer in der Erfüllung seiner Pflichten sich säumig erwiese, die zur Pfarre gehörenden Pächte einbehalten und sequestrirt und nach des Officials der Propstei zu Salzwedel und der Herren von Alvensleben billigem Erkenntnis zum Nutzen der Pfarre verwendet werden sollen. Diesen uns zweideutigen Zeugnissen gegenüber kann es nicht sehr ins Gewicht fallen, daß in dem Album der Wittenberger Universität (herausgegeben von Förstemann Leipzig 1841) am 20. April 1518 ein Thomas Gher aus Calbe in der Diöces Halberstadt erwähnt wird. Es kommen auch sonst Unrichtigkeiten betreffend die Diöces vor; es wird z. B. im Jahre 1512 (S. 42 bei Förstemann) Stendal als in der Brandenburger Diöces gelegen und dann noch auf derselben Seite richtig als in der Halberstädter Diöces gelegen bezeichnet. Ferner wird Vicco von Alvensleben, der im Jahre 1514 die Universität bezog und unzweifelhaft aus Calbe an der Milde war (cfr. Cod. dipl. Alv. III. p. 66), als der Verdenschen Diöces angehörig bezeichnet. Auch dürfte es nicht ganz unwahrscheinlich sein, daß der am 22. April 1514 immatriculirte Andreas Gerhe aus Calbe in der Magdeburger Diöces, also aus Calbe an der Saale ein Bruder oder Verwandter des genannten Thomas Gher ist, wodurch ebenfalls erwiesen würde, daß die Angabe, Calbe an der Milde habe damals in der Halberstädter Diöces gelegen, auf einem Irthum beruht. Als sicheres Resultat der bisherigen Untersuchung stellt sich mithin heraus, daß Calbe an der Milde wenigstens seit dem Anfang des 15. Jahrhunderts zur Verdenschen Diöces gehört hat. Daraus folgt aber nicht, daß dies auch in früheren Jahrhunderten, zumal im 10. bis 12., um die es sich für die vorliegende Frage allein handelt, der Fall gewesen ist. Es ist bereits oben darauf hingewiesen, daß die Flüsse im Laufe der Jahrhunderte ihren Lauf oft verändern, und daß gerade auch das Bett der Milde, wie es sich auf der Feldmark von Calbe darstellt, mit höchster Wahrscheinlichkeit ein künstliches ist, führt es doch an einer Stelle am Abhang einer Erhöhung entlang, deren Name „Nonnenwerder" eben falls auf ein Nonnenkloster in Calbe an der Milde hinweist, und liegt doch auf der ganzen Strecke vom Nonnenwerder bis an die Stadt die Sohle des Flusses höher, als die angrenzenden Ländereien. So wird Danneil mit seiner Ansicht, daß die Flüsse nicht immer im strengsten Sinne die Grenze bilden, doch Recht behalten. Dazu kommt endlich noch der Umstand, daß im 12. Jahrhundert in der Tat zwischen den Bischöfen von Verden und Halberstadt Streitigkeiten über die Grenzen ihrer Bisthümer in der Altmark stattgefunden haben, welche vom Kaiser Friedrich I. und dem Papst Alexander im März des Jahres 1174 zu Gunsten des Bischofs von Verden entschieden sind (vgl. Urkundenbuch des Hochstifts Halberstadt und seiner Bischöfe von Dr. G. Schmidt 1. Theil Nr. 274, 275 น. 285). Es liegt die Annahme nahe, daß diese Grenzstreitigkeiten mit der Veränderung der Flußläufe in Zusammenhang gestanden haben. Immerhin gestehen wir zu, daß die bisherigen Erörterungen noch keine zwingenden Gründe, das von Thietmar erwähnte Nonnenkloster in Calbe an der Milde zu suchen, ergeben haben.
Wir kommen nun zu dem 2. Hauptpunkt unserer Untersuchung, zu dem Berichte Thietmars über die Zerstörung des Lorenzklosters zu Calbe.
Im 10. Cap. des 3. Buches seiner Chronik hatte Thietmar die durch den Uebermuth des Markgrafen Thiedrich hervorgerufene Erhebung der slavischen Völkerschaften und die Zerstörung der der Bisthümer Havelberg und Brandenburg berichtet. Dann heißt es im 11. Cap. wörtlich weiter: „Zu diesen Zeiten wurde die Kirche zu Zeitz von einem Böhmenheer unter Führung des Dedi erobert und geplündert, nach dem Hugo, der erste Bischof, von dort vertrieben war. Und nachher verwüsteten sie das Kloster des heiligen Märtyrers Laurentius, welches in einer Stadt, die Calwo heißt, gelegen war, und verfolgten die Unseren wie flüchtige Hirsche; denn unsere Missethaten flößten uns Schrecken und ihnen Muth ein. Mistui, der Herzog der Abodriten, verbrannte und verwüstete Homanburg (Hamburg), wo einst ein Bischofssitz war."
Weiter erzählt dann Thietmar von einer wunderbaren Errettung der Reliquien der Heiligen, wodurch die Feinde geschreckt seien; Mystuwoi ( Mistui) sei darnach in Wahnsinn verfallen und in Ketten gelegt, und mit Weihwasser besprengt, habe er gerufen: Der heilige Laurentius verbrennt mich"; elendiglich sei er verschieden, ohne von seinem Wahnsinn befreit zu sein. Nachdem darauf alle Städte und Dörfer bis an ein Wasser, welches Tongera (Langer) heiße, geplündert und verbrannt seien, hätten die Deutschen unter Erzbischof Giseler von Magdeburg, Bischof Hilliward von Halberstadt, Markgraf Thiedrich und anderen Grafen (darunter Siegfried von Walbeck, der Vater des Geschichtsschreibers Thietmar) sich gesammelt und den Feinden eine entscheidende Niederlage beigebracht. Soweit Thietmars Bericht. Aus demselben haben nun mehrere Geschichtsforscher z. B. von Ledebur in dem bereits erwähnten Aufsatz in den Neuen Mittheilungen die Folgerung gezogen, daß die über Zeitz vorwärts dringenden Böhmen es waren, welche, wie Thietmar ausdrücklich versichere, das Kloster zu Calbe zerstörten; das spreche entschieden für Calbe an der Saale und gegen das entfernte Altmärkische Calbe. Ähnlich äußert sich Niedel, die Mark Brandenburg im Jahre 1250 Theil I S. 26 dahin, daß Thietmar beim Jahre 983 erzähle, wie die Slaven nach Zerstörung der hohen Stiftskirche in Zeitz die Deutschen gleich flüchtigen Hirschen vor sich hergetrieben hätten und bei dieser Verfolgung nach Calbe gekommen wären, wo sie das Kloster des h. Lorenz zerstört hätten. Hier liege nun aber Calbe an der Saale der bischöflichen Kirche zu Zeitz ungleich näher als Calbe an der Milde, welches hier nicht verstanden zu sein scheine. Aber offenbar behauptet v. Ledebur zu viel, wenn er sagt, dass Thietmar ausdrücklich versichere, es seien die über Zeitz vorwärts dringenden Böhmen gewesen, welche das Kloster zu Calbe zerstörten. Nur in unbestimmter Weise verknüpft Thietmar mehrere ziemlich gleichzeitige Ereignisse. Daß er nicht immer genau chronologisch verfahre, hat er selbst B. IV, C. 35 ausgesprochen, und daß er wirklich in der vor liegenden Stelle mit dem im Jahre 983 stattgefundenen Aufstand der slavischen Völkerschaften unter Mistui, dem Fürsten der Obodriten, den um 6-7 Jahre zurückliegenden Einfall der Böhmen unter Führung des Dedi verbunden hat, ist durch W. Giesebrecht in den Jahrbüchern des deutschen Reiches unter dem Sächsischen Hause Bd. II Abtheil, 16. 156 ff. schlagend nachgewiesen. Giesebrecht weist darauf hin, daß der Bischof Hugo von Zeitz nach dem Necrolog. Fuld. schon im Jahre 979 gestorben ist, und daß Thietmar selbst kurz zuvor (III, 9) bei der im Jahre 983 erfolgten Aufhebung des Bisthuns Merseburg bereits Friedrich, den Nachfolger des Bischofs Hugo von Zeitz, erwähnt. Deshalb muß, sagt Giesebrecht weiter, der Angriff gegen Zeitz zu den Unternehmungen des Herzogs Bolislav von Böhmen in Verbindung mit dem geachteten Herzog Heinrich gerechnet und in das Jahr 976 oder 977 gesetzt werden. Seit Ostern 978 stand Bolislav in Friedlichen Beziehungen zum Kaiser, die sich bis zum Tode desselben erhalten haben müssen, da er noch den Reichstag zu Verona 983 beschickte. Daher erzählt denn auch ein anderer Geschichtsschreiber, der Chronographus Saxo, welcher nach Giesebrechts Ansicht mit Thietmar gemeinsam aus einer Magbeburger Quelle geschöpft haben dürfte, zuerst die Zerstörung von Zeitz durch die Böhmen und dann den Aufstand der durch den Uebermuth des Markgrafen Thiedrich erbitterten Slaven, die Zerstörung von Havelberg und Brandenburg und fährt alsdann fort: Hierauf verbrannte und zerstörte Mistui, der Herzog der Abodriten, das Kloster des h. Märtyrers Laurentius in der Stadt Calbe und Hamburg. Wenn dies aber richtig ist, daß Mistui, der Abodritenfürst, das Lorenzkloster zu Calbe zerstört hat, so kann das giebt auch v. Ledebur zu der Blick nur auf das altmärkische Calbe gerichtet sein. Daß aber Mistui in der That das Kloster des h. Lorenz zu Calbe zerstört hat, dafür ist der Bericht des Thietmar selbst vollgültiger Beweis. Denn Thietmar läßt den Wahnsinn des Mistui eine Strafe des Laurentius sein; der Ausruf des Wahnsinnigen der h. Laurentius verbrennt mich" steht in deutlichster Beziehung zu der vorher erwähnten Verwüstung des Lorenzklosters zu Calbe; die Kirche zu Hamburg war nicht dem Laurentius, sondern der Maria geweiht. Darum kann nicht Dedi mit den Böhmen, sondern nur Mistui und die Abodriten das Lorenzkloster zu Calve zerstört haben, und daraus folgt weiter, daß der Bericht des Bischofs Thietmar nicht nur kein Bedenken dagegen erweckt, das im Jahre 983 zerstörte Lorenzkloster in Calbe an der Milde zu suchen, sondern vielmehr dies letztere geradezu fordert. Erwähnt mag noch werden, daß die Erzählung von dem Wahnsinn und dem Tode Mistuis (der übrigens erst später eingetreten ist, da er nach IV, 2 im Jahre 984 noch lebte) ein Zusatz auf dem untersten Rande des Blattes von des Bischofs Thietmar eigener Hand in der Dresdener Handschrift ist (vgl. Monum. Germ. III. p. 765); von der Nachricht über den Einfall der Böhmen und die Zerstörung von Zeitz wird eine gleiche Bemerkung in den Monum. Germ. allerdings nicht gemacht. Sachlich aber hat Giesebrecht gewiß Recht, wenn er auch diese Nachricht als einen späteren Zusatz des Thietmar ansieht, wie es die über den Wahnsinn und Tob des Mistui thatsächlich ist. Läßt man aber diese beiden Zusätze aus dem Text des Thietmar fort, so wird die Darstellung von dem Angriff der Slaven auf die Marken völlig zusammenhängend und klar; auf die Zerstörung von Havelberg und Brandenburg folgt die von Calbe und Hamburg und darauf die Besiegung der Wenden in der Gegend des Tangerflusses. Daß dieser ersten Zerstörung des Klosters zu Calbe noch weitere gefolgt sind, erhellt aus der schon mehrfach erwähnten Urkunde vom Jahre 1121, zu deren Besprechung als dem 3. und letzten Hauptpunkt unserer Untersuchung wir nunmehr übergehen.
Im Jahre 1120 hatte der Bischof Reinhard von Halberstadt aus einem bei Schöningen gelegenen Nonnenkloster die Bewohnerinnen desselben entfernt, weil sie ein unnützes und zuchtloses Leben führten, und an ihre Stelle Augustinermönche gesetzt. Weil aber für diese das frühere Kloster nicht ausreichend war, so wurde das dem h. Laurentius geweihte neue Kloster auf einen weiter oberhalb gelegenen, dem Bischof von Halberstadt gehörigen Hof verlegt.( Die betr. Urk. ist abgedruckt bei Falfe Codex Trad. Corbej. p. 758 fg ) Die dort erbaute und wohl erhaltene Kirche schaut mit ihren beiden Türmen noch jetzt weit ins Land hinein.
Dies von dem Bischof Reinhard neu gegründete und dem h. Lorenz geweihte Augustinerkloster stattete nun der genannte Bischof mit dem wiederholt zerstörten Nonnenkloster zu Calbe und dessen sämtlichen Besitzungen aus. Die darüber am 18. October 1121 zu Halberstadt ausgestellte Urkunde befindet sich in dem Herzoglich Braunschweigischen Staatsarchiv zu Wolfenbüttel und ist von dem Verfasser zweimal eingesehen worden. Sie ist, abgesehen von drei kleinen Stellen, die durch das Zusammenfalten des Pergaments defekt geworden sind, vorzüglich erhalten, ebenso auch das auf gedrückte Siegel des Bischofs Reinhard von Halberstadt. Sie ist (meines Wissens zuerst) von Cuno in den Memorabilia Scheningensia 282 ff. ziemlich gut, besser von Falke im Codex Traditionum Corbejensium p. 759 ff. abgedruckt worden; sehr incorrect ist der Abdruck von Niebel im Cod. dipl. Brand. I, 17, p. 427 f., welcher dem von Cuno gefolgt ist, aber eine Menge sinnentstellender Fehler enthält; im Ganzen correct ist wieder der Abdruck im Urkundenbuch des Hochstifts Halberstadt von Schmidt I. p. 122 ff.( Die mir aufgestoßenen Ungenauigkeiten des Abdrucks im Halberstädter Urkundenbuch sind folgende: Zeile 16 fehlt hinter loci das Wort etiam. In Zeile 27 sieht es so aus, als ob iuxta im Original noch gelesen werden könnte, was nicht der Fall ist. Zeile 55 muß statt Orop-loge Droploge werden, wie deutlich im Original steht (vgl. Urk. Nr. 159 Beile 66, wo richtig Droploge gedruckt ist). Zeile 57 dürfte statt Thieriurode Thietmerode zu lesen sein (Nr. 189 3. 70 steht Thietmerrothe). Zeile 59 muß es statt Üldenheim Üdenheim heißen (Nr. 189 3. 52 steht Udenhem). Endlich ist Zeile 81 ftatt eterna pace eternam pacem zu lesen.)
So klein nun, wie gesagt, die vorhandenen drei Lücken der Urkunde sind, so bedauerlich ist gerade die erste. Wäre diese Lücke nicht vorhanden, so hätte die uns beschäftigende Streitfrage, ob das von der Gräfin Oda gegründete Lorenzkloster in Calbe an der Saale oder in Calbe an der Milde zu suchen ist, überhaupt nicht aufkommen können. Es fehlen nämlich gerade die anderthalb Worte, welche die Lage von Calbe näher bezeichnen. Nachdem der Bischof Reinhard im Eingang der Urkunde es für seine bischöfliche Pflicht erklärt hat, für seine Brüder, die frommen Augustinermönche, zu sorgen, nachdem er weiter auf die Verwandlung des Nonnenklosters zu Schöningen in ein Mönchskloster der Augustiner und die darüber in der cit. Urkunde von 1120 getroffenen Bestimmungen verwiesen und endlich davor gewarnt hat, die Besitzthümer der Brüder, welche früher jene Nonnen besessen hatten und welche er selbst nachher hinzugefügt habe, freventlich anzutasten, fährt er wörtlich fort: Für die Nachkommenschaft der Gläubigen schreiben wir auch die gegenwärtige Urkunde, durch welche wir einen gewissen Ort, welcher Calvo genannt wird ………., gelegen, an welchem die aus königlichem Geschlecht entsprossene Gräfin Oda seligen Gedächtnisses ein Nonnenkloster in Folge eines frommen Gelübdes gegründet hatte, (welcher) aber zur Strafe der Sünden (durch die Verwüstung) böser Menschen öfter zerstört ist, mit dem gesammten Eigenthum, das dazu gehörte, dem Nutzen der Brüder zu Schöningen kraft unserer bischöflichen Befugniß übertragen." Die obige Lücke auszufüllen sind nun mancherlei
Versuche gemacht worden. Cuno liest juxta..... ulonem.( Der lateinische Text der Urkunde lautet an dieser Stelle: Presentem etiam paginam posteritati fidelium scribimus, in qua locum quendam, qui Calvo dicitur,..... lonem situm, in quo felicis me-morie Oda comitissa regia stirpe orta sanctimonialium congregationem pio voto collocaverat, set peccatis exigentibus malorum hominum ione sepius desolatus est, cum universis allodiis, que illi attinebant, scheningensium fratrum utilitati episcopali auctoritate delegamus.)
Der Verfasser des Artikels in den Braunschweigischen Anzeigen vom Jahre 1748 Stück 74 liest, nachdem er das Original der Urkunde eingesehen: in qua locum quendam qui Calvo dicitur iu …….Idinem situm und bemerkt, daß über 6 Buchstaben in der verwahrlosten Stelle nicht gestanden haben können. In dem übrigens viele Fehler enthaltenden vollständigen Abdruck der Urkunde, den der Verfasser dieses Artikels giebt, stellt er die Conjectur auf: iuxta Mildinem.( Diese Conjectur ist auch in den Codex diplomaticus Anhaltinus (herausgegeben von D. v. Heinemann) I S. 152 aufgenommen.) Falke a. a. D. liest: iuxta salam versus aquilonem, ohne auch nur anzudeuten, daß sich im Original eine Lücke befindet.( Ihm folgt Schmidt im Halberstädter Urkundenbuch, doch bezeichnet (Salam versus aquilo) als Conjectur.)
Es ist sehr zu bedauern, daß sich von dieser Urkunde noch keine Abschrift aus einer Zeit gefunden hat, in welcher das Original noch unversehrt war. Das im Wolfenbütteler Staatsarchiv vorhandene Copialbuch ist erst etwas über 200 Jahre alt und weist bereits die Lücke auf; es liest iuxta...... uilonem.
Das von mir durch wiederholte sorgfältige Durchsicht des Originals gewonnene Resultat ist folgendes. Zunächst muß bemerkt werden, daß, wenigstens bei dem jetzigen Zustande der Urkunde, auch das juxta, welches das erwähnte Copialbuch und Cuno haben, nicht mehr vorhanden ist. Schon die Braunschweigischen Anzeigen a. a. O. lesen nur noch iu....., welches aber ebenso gut, da das i niemals den Punkt darüber hat, als u (=v) e hätte gelesen werden können. Zur nähern Bezeichnung des Ortes Calvo aber ein juxta (neben, bei) zu erwarten lag sehr nahe, werden doch auch in derselben Urkunde die Dörfer Eslestede (Estedt) und Akendorp (Ackendorf) als juxta Gardeleve (bei Gardelegen) gelegen bezeichnet. Vollständig begründet aber ist es, wenn der Verfasser des Artikels in den Braunschweigischen Anzeigen sagt, daß in der defecten Stelle nicht mehr als 6 Buchstaben ausgefallen sein können. Dadurch wird die Conjectur bei Falke und im Halberstädter Urkundenbuch: juxta Salam versus aquilonem völlig unmöglich gemacht. Hinter der Lücke kann man als Schlußbuchstaben eines Wortes mit voller Gewißheit ne (= nem), mit ziemlicher Gewißheit loně lesen. Dies zweite Wort als Mildinem zu lesen, wie Trichorius, der Verfasser des Artikels in den Braunschweigischen Anzeigen, vorschlägt, ist, wie Riedel, die Mark Brandenburg im Jahre 1250 1. 5. 25 richtig bemerkt, nicht zulässig, da die Milde niemals Mildis oder Mildo, sondern stets Milda genannt wird. So werden wir auf das von den meisten Abdrucken unserer Urkunde conjetturirte aquilonem hingewiesen, und von Wersebe, Beschreibung der Gaue 20. S. 143 ff. dürfte nahezu das Richtige getroffen haben, wenn er vermuthet, daß in der fraglichen Lücke nichts weiter als juxta aquilonem gestanden habe, weil damit eben angedeutet sein würde, daß nicht von dem Calbe an der Saale, sondern von dem nördlicheren Orte gleichen Namens an der Milde die Rede sei. Es liegt in der Tat auf der Hand, daß die Bezeichnung des Ortes Calbe als im Norden gelegen eine völlig zutreffende ist, mag man davon ausgehen, daß Calbe an der Milde in der Nordmark lag, oder davon, daß es nördlich von Halberstadt, dem Ausstellungsort der Urkunde, lag. Ein Bedenken muß man allerdings noch gegen die Conjectur juxta aquilonem haben; der Gebrauch der Präposition juxta für die Bezeichnung der Himelsgegend dürfte selbst in dem schlechten Lateinisch der Urkunden des Mittelalters kaum vorkommen; es muß statt juxta entschieden versus erwartet werden. Nun aber hat auch thatsächlich das Wort juxta in der uns beschäftigenden Stelle der Urkunde von 1121 gar nicht gestanden; bei meiner letzten genauen Besichtigung fand ich an der Stelle, wo etwa das t des juxta gestanden haben müßte, die obere Hälfte eines s, erkennbar an dem Schnörkel, welchen dieser Buchstabe in der Urkunde stets hat; dies führt auf die Conjectur versus aquilonem, mit welcher alle Schwierigkeiten gehoben sind. Dann sind es auch genau 6 Buchstaben, welche ausgefallen sind; da nämlich us und ui in der Urkunde stets abgekürzt sind, so ergiebt versus = 4 und aqui = 2, zusammen 6 Buchstaben. Wenn somit die von uns aufgestellte Conjectur auf Calbe an der Milde hinweist, eben dahin der Aussteller der Urkunde, der als Bischof von Halberstadt nicht über die Güter eines Klosters in dem zum Erzbisthum Magdeburg gehörigen Calbe an der Saale verfügen konnte, so weisen eben dahin endlich auch die Güter, welche das Kloster zu Calbe besessen hatte, und welche nun dem Lorenzkloster zu Schöningen überwiesen werden.
Die Auszählung dieser Güter wird in der Urkunde mit den Worten eingeleitet: „Dies aber sind die Güter, welche die ehrwürdige Frau (venerabilis matrona) und einige Äbtissinnen dieses Ortes jenem Kloster übertragen haben," Diese Güter waren sehr bedeutend; sie bestanden in 4 ganzen Dörfern, einem halben Dorf, ferner in 146 Hofstätten (areae) und 111 Hufen Landes (mansi), welche sich auf weitere 23 Ortschaften vertheilten; dazu kommen noch manche andere Nutzungen. Von den sämmtlichen 28 Ortschaften lassen sich etwa 8 nicht mehr genau bestimmen. Die Aufzählung der Ortschaften, in welchen das Kloster zu Calbe Güter besaß, folgt im Großen und Ganzen der Richtung von Süden nach Norden. Die erste Gruppe umfaßt die im Magdeburgischen gelegenen Ortschaften, welche allerdings näher an Calbe an der Saale als an Calbe an der Milde liegen. Dahin gehören bestimmt erkennbar Hergrimestorp (Hermsdorf bei Irxleben), Rodensleben, Geroldesdorf (Gersdorf bei Dahlenwarsleben), Iggersleve (Ostingersleben), Dahlenwarsleben und Bulstringe (Bülstringen).( Hierzu mag bemerkt werden, daß die Gräfin Oda, Herzog Ludolfs Gemahlin, ihren Wittwensitz in Wanzleben erhielt. Vgl. Böttger, die Brunonen S. 85 Note 120.)
Es folgt alsdann die zweite Gruppe, welche die altmärkischen Besitzungen des Klosters umfaßt. Dahin gehört Balligge (Bellingen), Svardelese (Schwarzlosen) und Buga (Buch), in welchen das Kloster einzelne Höfe und Hufen besaß; Eslestede (Estedt) und Akendorp (Ackendorf), beide als bei Gardelegen gelegen bezeichnet und beide dem Kloster ganz gehörig, sammt einem Antheil an dem bei diesen Dörfern gelegenen Walde Heineisse; Droploge (vielleicht Trippigleben) ganz, Luiduine (Luthäne) halb, Schirinbiche (Schernebeck) ganz, mit Ausnahme zweier Hufen, welche dem Bischof Reinhard gehört hatten, von diesem aber auch dem Lorenzkloster zu Schöningen übertragen waren; endlich noch Besitzungen in Allende, einem schon früh wüst gewordenen Dorfe in der Wische.
Eine weitere noch nördlichere Gruppe von Besitzungen bilden die Einkünfte aus Salzpfannen in den Ortschaften Mectenhusen bei Bardewiek und Beccenhusen, wohl auch in dieser Gegend zu suchen.
Die vierte und letzte Gruppe der Besitzungen des Klosters zu Calbe lag im Braunschweigischen, besonders in Schöningen selbst. Dort hatte es 22 Hofstellen, 7 Hufen mit Wiesen und Wäldern, die Salznutzung und eine Mühle; dazu kamen dann für das Lorenzkloster zu Schöningen alle die Güter der Barochialkirche St. Stephani daselbst, welche der Bischof dem Gebrauch der Mönche überwiesen hatte.
Was für eine Schlußfolgerung läßt sich nun für die Beantwortung der uns beschäftigenden Frage aus diesen Besitzthümern des Klosters zu Calbe ziehen? Wir gestehen zu, daß ein entscheidendes Moment sich nicht daraus ergiebt: für Calbe an der Saale würden die im Magdeburgischen, für Calbe an der Milde die in der Altmark belegenen Güter sprechen. Wenn es aber kein bloßer Zufall sein dürfte, daß die ganzen Dörfer, welche das Kloster besaß, nur in der Altmark lagen, wenn wir ferner die Lage der Lüneburgischen Dörfer in Betracht ziehen, in denen das Kloster zu Calbe Hebungen hatte, und die von Calbe an der Saale doppelt so weit entfernt liegen, als von Calbe an der Milde: so scheint doch auch hierin ein Moment zu liegen, welches für Calbe an der Milde ins Gewicht fällt.
Damit sind wir am Schluß unserer Untersuchung angelangt. Wir sind weit entfernt zu meinen, daß durch dieselbe alle Zweifel hinsichtlich unserer Entscheidung für Calbe an der Milde gehoben wären. So bestimmt wir in Übereinstimmung mit einem Geschichtsforscher, wie W. von Giesebrecht es ist, der Überzeugung sind, daß der Bericht Thietmars von der Zerstörung des Lorenzklosters zu Calbe nur auf den altmärkischen Ort dieses Namens bezogen werden kann, ebenso sehr müssen wir zugeben, daß die Zugehörigkeit von Calbe zum Bisthum Verden, wie sie seit dem Anfang des 15. Jahrhunderts geschichtlich feststeht, eine Schwierigkeit darbietet, die noch nicht genügend aufgeklärt ist, und auch unsere Ergänzung der sehr bedauerlichen ersten Lücke in der Urkunde von 1121 bleibt immerhin, wie sehr wir auch von ihrer Richtigkeit persönlich überzeugt sind, eine Conjectur. Wenn wir aber dem gegenüber sagen müssen, daß Calbe an der Saale in der für uns in Betracht kommenden Zeit (979-1121) sicherlich nicht zum Bisthum Halberstadt, sondern zum Erzbisthum Magdeburg gehört hat, daß Thietmars Bericht von der Zerstörung des Klosters zu Calbe nicht für Calbe an der Saale spricht, daß endlich die durch Falke gemachte Ergänzung der fraglichen Lücke in der Urkunde von 1121 (juxta Salam versus aqui- Ionem) unzweifelhaft eine unmögliche ist, so kann das Schlußresultat unserer Untersuchung nur dasselbe sein, wie das im 1. Jahresbericht des Altm. Geschichtsvereins ausgesprochene: Es ist ein Übergewicht von Gründen vorhanden, welches uns nöthigt, das von Thietmar zweimal erwähnte Kloster zu Calbe, dessen Güter der Bischof Reinhard von Halberstadt 1121 dem Lorenzkloster zu Schöningen übereignete, nicht in Calbe an der Saale, sondern in Calbe an der Milde zu suchen.
Müller, Oberprediger zu Calbe an der Milde.
Hier finden Sie den Originalbericht zum download
https://www.altmarkgeschichte.de/voe.php?pid=jb_1.php
Auszug aus dem 21. Jahresbericht des Altmärkischen Geschichtsvereins von 1886
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