Geschichten über Kalbe Milde
 
 


 
1838 - Das Lorenzkloster in Calbe/Milde (Laurentiuskloster)

Auszug aus dem 1. Jahresbericht des Altmärkischen Geschichtsvereins von 1838

… Die dem Direktorio von verschiedenen Seiten her gemachten Mittheilungen von Nachrichten und Urkunden sind von mannigfacher Art. Sie gingen ein von Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern des Vereins.

1. Die Frage: ob das in einer Urkunde des B. Reinhard zu Halberstadt von 1121 erwähnte Kloster zu Calbe, mit dessen Einnahme das Stift Augustiner Chorherrn zu Schöningen bei Wolfenbüttel fundirt ward, Calbe an der Saale oder Calbe an der Milde sei? ist zwar durch die neuesten Geschichtsforscher dahin entschieden, daß hier Calbe an der Saale gemeint sei, aber es scheinen die vorliegenden Acten keineswegs spruchreif, und das Directorium veranlaßte eine neue Prüfung der Grunde dafür und dawider.

Zum Verständniß des folgenden erlaube ich mir die historischen Umstände Ihnen ins Gedächtniß zurückzurufen. Dittmar von Merseburg und andere Chronikanten erzählen jener beim Jahre 983, daß die Slaven bei ihrer allgemeinen Empörung auch das Kloster des heiligen Lorenz in der Stadt Calbe zerstört hätten; ferner im Jahre 1121 überweiset der B. Reinhard zu Halberstadt dem von ihm fundirten Kloster zu Schöningen, die Güter des zerstörten Klosters zu Calbe. Die Lage dieses Orts war in der Urkunde näher bezeichnet, unglücklicherweise aber sind gerade diese Worte nicht mehr zu lesen, und jeder suchte zu conjekturiren, je nachdem er sich für die eine oder die andere der gleichnamigen Städte entschied. Die älteren Historiker nehmen Calbe a. d. M., neuere aber Calbe a. b. S. an. Für diese letzte Ansicht bringen besonders Herr Professor Riedel und Wohlbruck die Beweise bei; ihnen scheint der H. G. N. R. G. W. von Raumer beizustimmen. Diese Grunde sind folgende:
1) Calbe a. d. M. werde erst später 1196 in der Geschichte urkundlich erwähnt.
2) Dittmar sage, daß die Slaven nach der Zerstörung der Stiftskirche zu Zeitz die Deutschen vor sich hergetrieben und bei dieser Verfolgung nach Calbe gekommen waren; Calbe a. d. S. liege aber näher an Zeitz.
3) Dittmar erzähle , daß Miseco König von Polen eine gewisse Oda, Nonne jenes Klosters, geheirathet habe. Daruber hätte besonders der B. von Halberstadt Hildeward Unwillen empfunden, daß Oda dem himmlichen Brautigam einen sterblichen Mann vorgezogen habe; Calbe a. d. M. hätte stets zum Verdenschen Sprengel, Calbe a. d. S. aber zum Halberstadtischen gehört.
4) in Calbe a. d. M. sei nie ein Jungfrauenkloster gewesen, endlich
5) befinde sich in der Bernburger Vorstadt von Calbe a. d. S. eine Kirche, die dem heiligen Lorenz geweihet war.

So schlagend diese Grunde zu sein scheinen, so sind sie doch keinesweges überzeugend, vielmehr lassen sich sehr erhebliche Einwürfe gegen dieselben machen. Denn:
1) daß Calbe in der Altmark erst später erwähnt wird, ist freilich richtig, würde aber nur etwas beweisen, wenn von der Gründung dieses Orts die Rede wäre. Auch Salzwedel wird zuerst 1112 erwähnt, existirte aber sicherlich viel früher.

2) Dittmar sagt nicht, daß bei der Verfolgung der Sachsen von Zeitz aus Calbe zerstört sei. Lieset man die ganze Stelle bei diesem Chronikanten im Zusammenhange, so wird man finden, daß er mehrere einzelne Thatsachen zusammenstellt, die der Zeit noch schwerlich in einander fallen. Er bedient sich des Ausdruckes: his temporibus, postea u. s. w. Die Zerstörung der Stiftskirche in Zeitz und die des Klosters zu Calbe stehen als zwei verschiedene Facta da. Der Herr G. R. R. G. W. von Raumer vermuthet daher auch mit Recht, daß hier Ereignisse aus verschiedenen Jahren erzählt sind. Ueberdies bringt der Chronographus Saxo, so wie das Chronicon Magdeburgense, die Zerstörung des Lorenz-Klosters in gleichzeitige Verbindung mit der Zerstörung Hamburgs, und beide erzählen die Ereignisse in umgekehrter Ordnung. Gegen das dritte Argument läßt sich einwenden: ob Calbe a. d. M. wirklich im Verdenschen Sprengel lag, ist wohl behauptet, aber nicht erwiesen. Urkundliche Beweise sind bis jetzt nicht bekannt geworben und von Wersebe rechnet diese Stadt auch wirklich zur Halberstädtischen Diocese. Will man den Beweis, daß Calbe zum Verdenschen Sprengel gehört habe, daraus ableiten, daß es auf dem linken Ufer der Milde liegt und daß die Biese und Milde die Scheibe zwischen dem Verdenschen und Halberstädtschen Sprengel bildeten, so bemerken wir dagegen, daß die Flüsse nicht im strengsten Sinne die Grenze bildeten. Gardelegen, das ebenfalls an der linken Seite der Milde liegt, gehörte unbestritten zum Halberstädtschen Sprengel, wie dies nicht blos aus Sarracho's Register, sondern aus vielen Urkunden im Gardeleger Archiv erhellet. Ein ähnliches gilt von Boister. So lange demnach nicht urkundlich nachgewiesen ist, daß Calbe wirklich zum Verdenschen Sprengel gehörte, hat die Annahme, dass es zum Halberstädtiſchen gehörte, eben so viel Gültigkeit. Dazu kommt noch, daß der größte Theil von Calbe auf der Ostseite eines Arms der Milde liegt. Die Behauptung ferner, daß zu Calbe nie ein Jungfrauenkloster gewesen sei, ist unerweislich, vielmehr läßt sich das Gegentheil als höchst wahrscheinlich darthun; an Nach richten, daß zu Calbe a. d S. ein dergleichen gewesen sei, fehlt es ganz. Schon Bekmann stellt Vermuthungen dafür auf. Dies veranlaßte das Directorium genaue Erkundigungen deshalb einzuziehen. Wir haben hier dankbar die zuvorkommende Gefälligkeit des Herrn Predigers Oelze zu Calbe zu rühmen, der mit großer Aufopferung an Zeit sich der Mühe unterzog, alles hierher gehörige zu sammeln. Aus dessen verschiedenen Mittheilungen ergiebt sich Folgendes: Nahe bei der Stadt ist eine kleine Anhöhe, der Petersberg. Die Sage geht noch jetzt in Calbe, daß auf demselben vor uralten Zeiten ein Kloster gestanden. Diese Sage wird dadurch unterstützt, daß daselbst noch jetzt Schädel und andere menschliche Gebeine, sowie Mauerkalk und Ziegelsteine ausgegraben werden, und noch vor Kurzem fanden sich dort 2 Hohlmünzen, worunter eine Stendalsche. Auch die größte Glocke in der jezigen Kirche soll der Sage nach aus dem Mönchskloster auf dem Petersberge herrühren. Ferner liegt súdlich von Calbe eine fruchtbare Anhöhe, die noch jetzt der Nonnenwerder heißt. Der Sage nach hat hier in uralten Zeiten ein Nonnenkloster gestanden. Durch einen unterirdischen Gang waren Mönchs- und Nonnenkloster verbunden gewesen, woran der Bischof Anstoß genommen, da ihm die gegenseitigen Besuche der Bewohner beider Kloster zu Ohren gekommen. Daher habe er die Kloster aufgehoben und die Gebäude zerstören lassen. Späterhin habe ein Bischof beabsichtigt, die Kloster wieder zu erbauen, nicht unbedeutende Geldmittel waren durch Sammlungen zusammengebracht, die dem Burgherrn zur Aufbewahrung übergeben wären. Bei einer Belagerung der Burg habe der Burgherr die zusammengekommenen 84.000 Goldgulden als ein geistliches Gut sicher retten wollen, dieselben in einen steinernen Sarg gelegt, und diesen in den Burggraben hinabgelassen. Dieser steinerne Sarg mit seinem goldenen Inhalte liege noch heutiges Tages in dem Burggraben. Daß das Nonnenkloster dem heiligen Lorenz gewidmet gewesen, ist ebenfalls höchst wahrscheinlich. Der Herr Oberprediger Wagner in Calbe hat nämlich die Güte gehabt, aus den ältesten Kirchenbüchern zu Calbe alle brauchbaren Notizen auszuziehen und dem Directorio dieselben übersandt. Darunter findet sich folgende hierher gehörige Notiz: Im Jahre 1737 den 23. März ist die alte Elvertsche in Palms Bude gestorben. Weil nun bisher Lärm von der Garnison erregt, daß ein Kirchhof vor dem Thore sollte angelegt werden, so ist zwar von dem Gesammtrichter vor dem Salzwedelschen Thore ein Platz dazu angewiesen. Es will aber die Bürgerschaft durchaus diesen Platz nicht zum Kirchhofe haben, weil daselbst gleich Wasser kommt, sondern es dringt die Bürgerschaft darauf, daß der alte sogenannte St. Lorenzkirchhof vor dem Thore zu dem Kirchhofe sollte genommen werden. Weil aber dieser Lorenzkirchhof jetzt zu einem Hopfengarten gemacht und zum Gerichtshause gelegt ist, so will man solchen nicht abgeben. Daher ist denn geschehen, daß Palm den Sarg auf den Wagen geladen, und die Leiche nach Vahrholz gefahren, auch solche auf diesem Kirchhof begraben lassen, der Gemeinde aber dafür eine Tonne Bier gegeben. So gehts an unserm Orte zu und so trefflich wird über gute Ordnung gehalten, scilicet das arme Ministerium muß zu allem dergleichen extra vagantibus stillschweigen. Also eine Lorenzkirche, denn auf diese muß schlechterdings aus dem Lorenzkirchhof geschlossen werden, existirte bei Calbe a. d. M. ebendso gut, als bei der gleichnamigen Stadt an der Saale. Rechnen wir zu diesen widerlegenden Gründen noch den Umstand, daß sich nicht nach weisen läßt, daß die Verwüstungen der Slaven am Ende des 10ten Jahrhunderts sich bis Calbe a. d. S. erstreckten, wohl aber die Altmark sehr hart trafen, so daß Helmold anführt, daß bis auf seine Zeit die Slaven in der Altmark herrschendes Volk gewesen wären, so scheinen mehr Gründe dafür zu sprechen, daß das Lorenzkloster an der Milde und nicht an der Saale zu suchen ist. Endlich verdient noch bemerkt zu werden, daß die dem neuen Kloster zu Schöningen überwiesenen ehemaligen Pertinenzien des Klosters Calbe großentheils in der Altmark liegen.



Joahnn Friedrich Danneil


Hier finden Sie den Originalbericht zum download https://www.altmarkgeschichte.de/voe.php?pid=jb_1.php


Auszug aus dem 1. Jahresbericht des Altmärkischen Geschichtsvereins von 1838

 
 
 
 
 
   
  
 

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