Geschichten über Kalbe Milde
 

 


 

 

 
Ein Bild der Stadt Calbe im Jahre 1740

Wie mögen wohl die Straßen der Stadt Calbe aus. gesehen haben, so etwa vor 200 Jahren, als man bas Jahr 1740 schrieb? Wir haben kein Bild der Heimatstadt aus dieser Zeit, und müssen daher nun selber uns eine Borstellung von Calbe zu machen versuchen. Zwei Drittel aller Häuser zeigen noch Strohdächer, einige haben gar keinen, manche nur einen hölzernen Schornstein. Nur ein Drittel aller Häuser erfreute sich schon eines modernen Ziegeldaches. Die Vorderfronten sind alle von Fachwerk und meist mit Staken und Lehm ausgefaßt. Der „Lementierer oder Leimklicker" hat sein Werk an ihnen getan, der Maler Balkenwerk und Wände in schöner Farbe gestrichen, und der Holzschnitzer in bunten, zierlichen Buchstaben die Namen der Bauherren und ihrer Frauen nebst einigen Bibel ober Gesangbuchversen und der Angabe ihrer Hochzeitstage daran angebracht, so dass man sagen möchte: "Wie glänzt das Häuslein schmuck und neu, daß wohl barin zu wohnen sei." Aber nicht immer steht ein Haus neben dem anderen. Hin und wieder stoßen wir auf eine unbebaute, sogenannte „wüste Stelle". Man sieht es sofort, hier hat einmal auch ein Haus gestanden, das nicht wieder aufgebaut wurde. Wir treffen auch auf ein Gärtchen, das sich jemand mitten zwischen zwei Häusern in der Straßenrelhe angelegt hat. Beete und Blumen verdecken nun den leeren Baufleck. Solche wüsten Stellen gab es damals in gar vielen Städten. Es wird berichtet, daß Berlin etwa um dieselbe Zeit, als es noch eine Mittelstadt war, 300 solche wüsten Stellen und die Schwesterstadt Berlins am anderen Spreeufer, Cölln 150 derartige Stellen gezählt habe, alfo 450 wüste Stellen in Berlin. Kriegsnöte und Armut haben sie gebracht. Aus völligem Mangel an Geldmitteln wurden baufällige Häuser von ihren Bewohnern einfach verlassen, und niemand fand sich, der die Häuser wieder aufbaute. Da sahen ja die strohgedeckten Häuser doch noch besser aus, als solche wüsten Stellen. Schilf gab es in nächster Nähe genug, und Stroh war in Fülle vorhanden. So ein neues strohgedecktes Haus, wenn es in Ordnung gehalten wurde, machte gar nicht einmal einen üblen Eindruck. Es war im Sommer schön kühl und im Winter schön warm in solchem Hause, und Getreide, Hopfen und sonstige Vorräte waren unter einem warmen und dunklen Strohdache besser verwahrt, als unter einem kalten Ziegeldache. Aber wenn nun Moos auf dem Dach lustig wucherte, und der Regen an schadhaften Stellen durchsickerte, ging es mit der Herrlichkeit bald dahin. Wüste Stellen und zerfallene Strohdächer boten kein schönes Bild. Noch kümmerlicher sahen die Ställe aus. Wenn Balken und Träger zerbrochen waren, wurde aus dem nahenKale-Elsenbusch einfach Holz geschlagen, neue Stützen wurden untergeschoben, bis das brüchige und wurmstichige Ellernholz wieder zusammenbrach. Wohl versuchten die Bürger, wenn sie auch an der Straßenseite Ziegeldächer auflegen mußten, wenigstens für die Hofseiten die Strohdächer zu retten. Ein Aktenstück redet davon in seinem Titel: Von dem abgeschlagenen Gesuch der Bürger, ihre Häuser nach der Hofseite mit Stroh decken zu dürfen, Die Mühe war also vergebens gewesen. Die preußischen Könige waren eifrig darauf bedacht, die wüsten Stellen in ihren Städten wieder der Bebauung zu erschließen. So ließen sie öffentlich Baulustige unter Zusage von Bauhilfsgeldern und Steuerfreiheit zur Ansiedlung auf solchen Stätten auffordern.

Die Pflasterung der Straßen lag sehr im argen. Das Pflaster, wenn es überhaupt vorhanden war, wurde aus Feldsteinen kunstlos, ohne Verband zusammengesetzt. Der morastige Boden ließ das Pflaster schon leicht in den Schmutz versinken, und schwere Ackerwagen durchbrachen die dünne Decke nur zu oft, so dass immer neue Pflasterung nötig wurde. Im Jahre 1732 waren erst größere Dammsetzerarbeiten ausgeführt worden in Höhe von 132 Talern, für Anfertigung eines Dammes in Calbe, von der sogenannten Krautbrücke bis zum Gerichtshause an der Marktecke (Wer kennt die Krautbrücke?), ferner 18 Ruten Damm vor dem Salzwedeler Tor, 9 Ruten Damm in Calbe, 3 Ruten Damm bei Steffens Ecke (später Petri). Als die Post von Arendsee durch Calbe nach Gardelegen eingerichtet wurde, müssen auf Anordnung der Bauinspektion Berlin 91 Ruten Damm in der Schantz angelegt werden. Kurz, es wurde damals, vor 200 Jahren an den Dämmen in und vor der Stadt allerlei getan. Da die Abwässer natürlich offen durch die Straßen geleitet wurden, meist in der Mitte, man auch Dachrinnen noch nicht kannte, mochte der Verkehr auf den Straßen nicht zu den Annehmlichkeiten gehören, zumal ja auch das Vieh durch die Straßen getrieben wurde. Abends blieb man mangels jeder Staßenbeleuchtung am besten zu Hause, wenn man nicht gerade dringend einen Besuch zu machen hatte, den man nur mit Hilfe einer qualmenden Oellampe allenfalls wagen durfte. Am finsteren Abenden blieb immer eine Gefahr für Hals und Beine bestehen. Bei Regenwetter legte man gern Bretter vor sein Haus und turnte auf diesen Brettern von einem Hause zum andern. Dem glatten Verkehr war freilich solch Notbehelf nicht dienlich. Nun wir brauchen ja auch bei Regenwetter oder in der Dunkelheit nicht uns die Straßen von Calbe anzusehen; das machen wir lieber am Tage ab. Da sehen wir draußen vor dem Gardelegener Tor den Torschreiber. Er hat eine wunderliche Uniform an, auch trägt er den preußischen Zopf. Wir sehen es ihm an, dass er ein abgedankter Unteroffizier ist, vielleicht ein Invalide. Mit dem Rohrstock in der Hand treibt er sich in der Nähe seiner Torbude umher, um nach Karren und Körben und und Wagen Umschau zu halten. Er weiß ja, wer aus dem Tor herausgefahren ist und wieder nach Hause kommen muß; und er "vigiliert" scharf auf fremde Wagen. Wer in die Stadt hinein will, muß seine Accisesteuer bezahlen, und wenn es auch nur Pfennige sind. Da kommt noch jemand an, ein Fremder. Ob das auch ein ordentlicher Mann ist? Schon ist ihm der Ratsdiener auf den Fersen und fragt ihn aus. Als ein wandernder Handwerksgesell stellt sich der Fremde heraus, und fragt sich nach dem nächsten Meister zurecht, bei dem er eine Unterstützung oder gar Arbeit bekommen könnte. Aber ordentlich und zünftig muß sich der Bursche auch benehmen können, und sein Handwerkssprüchlein "Mit Vergunst, Herr Meister" hersagen können. Dann wird ihm Willkommen und Zehrgeld auch geboten. Da ist ja auch das „Rathaus". Zwei plumpe Feuertonnen auf hölzernen Kufen stehen an der Seite des Rathauses oder an der Kirchhofsmauer, und eine lange, eisenbeschlagene Feuerleiter hängt in greifbarer Nähe. Ja, Calbe hat schon seit 1728 eine Feuersprize und alle die dazu nötigen Löschgeräte. In einem besonderen Schuppen sind Eimer und Handspritzen, und was sonst noch alles dazu gehört, sicher untergebracht.

Nicht weit vom Rathause geradeüber von der großen Stadtkirche zu St. Nikolat hört man Singen und Zusammensprechen vieler Kinder. Das wird die Schule sein, die alte Kantor- und Rektorschule. Gefährlich gelehrt sieht sie aus mit ihrer lateinischen Inschrift. Und fein neu ist sie auch, erst 1737 gebaut und eben so fein schaut das erst 1734 erbaute Organistenhaus an der Ecke der Gardeleger- und Stegestraße aus. Wir möchten wohl gern dem Unterricht zuhören. Wer da wohl unterrichtet? Ob das unser alter, uns schon bekannter Freund, der Kantor und Rektor Christoph Ballhorn ist, der so schöne lateinische Briefe schreiben kann? Nein, der ist ja 1738 gestorben, also ist es sein Nachfolger, der Rektor Ernst Wilhelm Gottvertrau Hirsemann, soeben 1739 ins Amt an der Rektorschule gekommen, der mit neuem Eifer, aber im gleichen Geist, wie sein Vorgänger Ballhorn, die Calbenser Buben unterrichtet und eben für den nächsten Gottesdienst einen lateinischen Psalm einübt, den die Knaben schon mehrstimmig durch proben. Beim Weitergehen werfen wir noch einen Blick auf ein ganz altes Haus. Es ist das älteste Haus von Calbe, 1555 auf der Südwestecke des Stadtkirchhofes er baut und von den Herren von Alvensleben dem ersten evangelischen Prediger Elias Hoffmann geschenkt im Jahre 1919 wurde es abgebrochen. - Ein merkwürdiger Anbau birgt hinten nach der Hofseite im oberen Stockwerk einen hölzernen Gang, eine Galerie, auf der die Hausfrau so bequem ihre Wäsche trocknen kann. Und unten durchzieht das ganze Haus ein gewaltiger Keller, aus Feldstein errichtet, in welchem, als das Haus durch Kauf in andere Hände gekommen, ein abgedankter Unteroffizier, der Bierhändler Michael Wietzer, (siehe auch Stappenbecksches Freigut unter Kirche)des Kantors Christoph Ballhorn Schwiegersohn, das von den Calbensern sehr geliebte, und von den Calbenser Brauern sehr gehaßte Gardelegener Bier, die Garley, in Mengen lagerte zum Verkauf. Das Haus steht heut nicht mehr, und das Ausbrechen des Bierkellers in diesem Hause hat 1919 manchen Schweißtropfen gekostet. Wir trinken noch ein Glas von diesem einst viel gerühmten, und sogar in lateinischen und griechischen Versen in Gardelegen besungenem Garleybier (siehe auch Streit der Braurechte unter Handwerk und Brauerei), und steigen dann aus dem dunklen Keller wieder ans Tageslicht.

Da erklingt ein lustiges helles Lied aus einer schmetternden Trompete. Was bedeutet das? Ach, der Postillion ist eben mit seiner Post aus Arendsee gekommen und hat zu kurzer Rast in Calbe Halt gemacht, um nach Gardelegen weiter zu fahren. Die Fahrgäste sind ausgestiegen, um sich von der holprigen Fahrt noch etwas zu erholen und sich für die Weiterfahrt noch durch ein Glas Garleybier zu stärken. Sonst ist es still auf den Straßen. Der Handwerker schafft in seiner Werkstube, der Bauer ist auf dem Felde oder dem Hopfendamm beschäftigt, der Kaufmann wiegt seinem Kunden die Ware ab, und die rührige Hausfrau in Küche und Stall regt ohne Ende die fleißigen Hände, und rastet nimmer. Für sie alle aber sonrgen und arbeiten emsig bei Büchern u. Aktenstücken die Bürgermeister Christoph Heinrich Bünemann und Joachim Werner Schmidt, der emlig bet Blüchern u. Aktenstücken die Bürgermeister Christoph Heinrich Bünemann und Joachim Werner Schmidt, der Vorfahr, vieler heutiger Calbenser Bürger. So kann es ausgesehen haben in der guten alten Stadt Calbe an der Milde vor 200 Jahren, als man das Jahr 1740 schrieb, und Calbe 570 Einwohner zählte.

Freuen wir uns, wenn wir solch Straßenbild einer fernen Vergangenheit im Geist erblicken dürfen. Aber wir freuen uns vielleicht noch mehr, wenn wir ein anderes Bild von Calbe, nicht ein ersonnenes, sondern ein geschriebenes aus dem Jahre 1800/1801 schauen dürfen. (siehe nächster Aufsatz)


entnommen einem Aufsatz von Pfarrer Mosenthin 1935 aus Altmärkische Nachrichten Zeitung für Calbe und Umgebung mit Ergänzungen und Änderungen von Henning Krüger.

 
 
 
 
 
   
  
 

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