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Das Handwerk, Handel und Gewerbe
Leineweber
Leinwand wird heute nur noch selten z.Bsp. im Kunstgewerbe oder für Trachten verwandt.
Gute Leinewand ist kaum noch zu beschaffen. In den Schränken auf dem Lande liegen noch Schätze köstlichster Leinewand von der Mutter oder gar noch von der Großmutter her. Wer nun nicht gerade aus der
Landwirtschaft stammt und seinen Vorrat aus diesen Schätzen ergänzen kann, muß sich eben notdürftig mit Ersatz begnügen. Im ehemaligen deutschen Reich und besonders in der Altmark sind früher größere Mengen
Flachs angebaut worden; aber der Ackerboden war zu wertvoll und mußte der modernen, fortgeschrittenen Landwirtschaft kostbarere Erzeugnisse bringen. Mehr und mehr wanderten die Geräte des Flachsbaues,
die zum Brechen und Hecheln dienten, in die Rumpelkammern, und auch die Webstühle, die es in jedem guten Bauernhause ohne Ausnahme noch vor zwei Menschenalter gab, wurden auf den Böden abgestellt. Wenn man in dem
Buch der Vergangenheit unserer lieben Stadt Calbe blättert, muß man staunen wieviel Leineweber von Beruf es etwa vor 200 Jahren gerade auch in Calbe gegeben hat. Vor rund 300 Jahren sind hier schon beheimatet
die Leineweber Rodlof Wiese und Klaus Bindemann, letzterer genannt „Der neue Leineweber unter dem Rathause" um 1650. Dann um 1700 eine Leinenweberfamilie Lüders, Vater Simon Lüders, zugleich Kirchenvorsteher
und sein Sohn Christoph Lüders, Lein- und Garnweber und auch langjähriger Kirchenvorsteher, und ein Leinweber Andreas Christoph Wesche. Aber von 1730 an bis um 1800 drängen sich die Namen der Leineweber derart,
dass man sich wundern muß, wie diese vielen Handwerker in dem kleinen Ort Calbe ihr ausreichendes Brot als Leineweber finden konnten. Man geht wohl nicht fehl, daß man das Aufblühen dieses Handwerkszweiges
dem sparsamen Preußenkönig Friederich Wilhelm 1. zum Verdienst anrechnet. Flüchtlinge aus dem Auslande, aus Salzburg und Böhmen, Weber und Tuchmacher aus den Niederlanden, fanden in Preußen Aufnahme und
lohnende Arbeit. War doch das Land unter seinem Vorgänger, dem ersten preußischen Könige Friederich 1. infolge Verschwendung des Hofes, der vornehmen Volkskreise und auch des Bürgerstandes, welch letzterer den
Aufwand der Vermögenden gebührend nachzuahmen sich bemühte, in die größte Gefahr der Verarmung geraten. Es hatte nicht als standesgemäß gegolten, sich mit heimischer Wolle und Leinen zu kleiden, Tuche und Seide
mußten vom Ausland her bezogen werden. Die schönsten gemalten und gedruckten Kattune aus Holland war man gewohnt, schon seit Jahrhunderten als Tapeten für die Zimmer, als Decken für die Betten und als Vorhänge
für die Fenster zu benutzen. Diese Verschwendung, welche man schon lange vor dem 30jährigen Kriege geübt hatte, war wohl in diesem Kriege gründlich ausgerottet worden, lebte aber nachher in der alten Ausdehnung
wieder auf. Das wird vereinzelt auch in Calbe so gewesen sein. Der Ueberlieferung nach hat man auch auf der Oberpfarre unter einer leinernen Tapete das bis heute erhaltene und in der Sakristei hängende Bild
des ersten evangelischen Predigers Elias Hoffmann gefunden. Welche Verschwendung in der Verwendung kostbarer Stoffe schon zu seiner Zeit geübt wurde, kann man in der Kirche zu Calbe sehen, wenn man vor dem Denkmal
des Elias Hoffmann steht und sich dessen Talar eingehend betrachtet, oder wenn man die vielen Plisseefalten zu zählen versucht, die man auf dem Denkmal einer Frau von Alvensleben dicht am Orgelchor - erblickt.
Auch auf dem Denkmal des Ritters Pentz, dicht an der Sakristeitür, schauen unter der Ritterrüstung die Pluderhosen hervor. Und oben über der Sakristei, in der dite Kirchenbibliothek, stehen mancherlei Bücher,
welche gegen die Verschwendung der kostbaren Stoffe eifern, darunter auch eins mit dem Titel: „wider dem Hosenteufel". Der strenge preußische Soldatenkönig griff also mit starker Hand die
Verschwendungssucht seiner Zeit an. Streng und sparsam wie er selbst war, verfolgte er mit aller Macht eine Ueppigkeit, die sein Volk zu ruinieren drohte. Er verbot das Tragen kostbarer Stoffe sowie die Einfuhr
ausländischer Seide und fremden Kattuns. Besondere Beamte mußten sogar in die Häuser wohlhabender Familien eindringen und die Kisten und Truhen nach verbotener Ware durchstöbern.
So wurde nun die Aufstellung von Webstühlen befohlen, das Handwerk der Leineweber und Tuchmacher gelangte zur Blüte. Auch in Calbe ließen sich Lein- und Garnweber nieder. Da werden in den Jahren 1735 bis 1740
genannt als Leinweber: Joachim Dannehl, Niklas Dannehl, David Schulze, Johann Clamor Bottmer, Kleinloff, Lorenz Schulze, von 1740 bis 1750 Leinweber Beneke, Böwe, Gähde, Ludwig Schulze und weiter in den folgenden
Jahren bis 1800 Leinweber Bottmer auf der Burg, Gottfried Behrend, Tangermann, Illius, Piper, Lorenz Dietrich Schulze, Jürgen Schulze, Hanneke, Ebert, Joh. Dannehl, Leinweber, Garnweber und Kirchvorsteher,
Köne Lemke, Christoph Wolf, Christian Bathke, Andreas Krüger, Joach. Christoph Schmundt.
Man staunt! Wieviel Namen, wieviel Leinweber und ihre Familien, welche doch alle ihr ausreichendes Brot in einem blühenden Handwerk gefunden haben in der guten, alten Stadt Calbe. Sind die genannten heute bloß
noch Namen, und ihre einstigen Träger Staub und Asche, Schall und Rauch? Nein, die Namen Bindemann, Lüders, Wesche, Dannehl, Bottmer, Kleinloff, Tangermann, Piper, Hanneke, Krüger sind uns allen wohl bekannt und
leben zum Teil in ihren Nachkommen in unserer Stadt noch weiter fort. Aber, was ist von diesem ehemaligen blühenden Handwerk in den vergangenen 200 Jahren geblieben? Wir Alten kennen noch die Namen und Familien,
Leineweber Mertens, Piel, Mollenhauer. Und dieser allerletzte und einzige der ehrsamen Leinwebergilde hat nun auch seinen Webstuhl still gelegt; die müden Hände wollen nicht mehr die altgewohnte Arbeit tun.
Vergessen sollen alle die angeführten Namen nicht werden. Das Kirchenbuch hat sie alle treulich verzeichnet. Der um 1650 lebende Leinweber Klaus Bindemann konnte seinem Sohn Erdmann Bindemann studieren lassen und
und besagter Erdmann Bindemann bekleidete in Calbe dann das Pfarramt von 1698 bis 1722 als „Archidiakonus" im jeziger Pfarrwittum im „Rosenwinkel". Und sein Sohn wurde wieder Pfarrer in Wriezen a. D.
Abkömmlinge des Klaus Bindemann lebten dann als Fischer, Ortsdiener, Nachtwächter in Calbe, und als letzter Sproß des Leinewebergeschlechtes ist nachweisbar der noch heute lebende Hofmeister Karl Fr. Wilhelm
Bindemann in Calbe. Als Abkömmling des 1790 lebenden Leinwebers Schmundt meldete sich vor Jahren nach dem Weltkriege ein Kapitänleutnant Hubert Schmundt aus Kiel, der nach seinen Calbenser Ahnen Nachforschungen
hielt und auch den Zusammenhang fand. Nun werden ja bald wieder die Webstühle klappern, nicht nur in Calbe, sondern in den Dörfern und Bauernhäusern, im Lande rings umher. Der Flachsanbau ist durch Gesetz wieder
Pflicht des Bauern geworden, und jeder Kreis wird seine 100 ha Flachs anliefern. Viele Provinzen richten jetzt eigens Webschulen ein, auf denen Bäuerinnen und Mädel aus den Dörfern in mehrwöchentlichen Lehrkursen
von Fachleuten in der guten, alten, bäuerlichen Handweberei wieder unterwiesen werden. So Lebt eine alte Volkskunst auf, die Leinweberei und in den Spinnstuben mag wieder manches deutsche Volkslied erklingen.
Als Tuchmacher werden im alten Calbe genannt ein Johann Bromann um 1665 und ein Tuchmachermeister Joach. Meier um dieselbe Zeit. Von irgend welchen Umfang kann dieser Erwerbszweig nicht gewesen sein, da die Tuchmacher in
Salzwedel und Stendal ihre bedeutenden Innungen hatten.
Färber
Dagegen bildete die Färberei in Calbe für den Ort und die nähere Umgebung ein nennenswertes Gewerbe. Es gab in Calbe Schön- oder Buntfärber und Schwarzfärber, letztere Schwärzer genannt. Unter ihnen betrieb ein Schönfärber
Samuel Schulze nebenbei die Branntweinbrennerei. Am bekanntesten war der Stammvater der weitverbreiteten Familie Herper, der im Jahre 1715 aus Sandau a. Elbe zugezogen war, Johann Christian Herper, in der Marktstr. 18.
Wie die Nachkommen heute noch erzählen, hat er sich das Eichenholz zu seinem Hausbau in Calbe aus seiner alten Heimat Sandau herbeigeholt. An diesem Stammhause der Familie ist in schöner, geschmackvoller Schnitzerei
das ist auch eine fast ausgestorbene alte deutsche Volkskunst deutlich die Inschrift zu tesen: Christian Herper und Katharina Kleinloff, den 9. Juni 1723. Es wird erzählt, daß der erste Herper als schwedischer Soldat
im 30jährigen Kriege in der Altmark zurückgeblieben sei. In dem Studentenverzeichnis der alten Universität Frankfurt a. D. findet sich ein Joachim Herper aus Havelberg in der Mark im Jahre 1646 als neu aufgenommener
Student verzeichnet. Vielleicht ist das der erste aus Schweden stammende Herper. Die Gegend Havelberg paßt ja auch zu dem Ort Sandau a. Elbe. In dieser Gegend haben also die Herpers zuerst gewohnt. Ein Sproß ist dann
nach Calbe gezogen, und das Geschlecht hat sich dann über die ganze Altmark verbreitet. In Berlin wohnt ein Ahkömmling der Familie als Direktor des Reichsverbandes der Druckereibesizer in Berlin, ein hochangesehener Mann.
Der erste, aus Sandau nach Calbe zugezogene Herper starb 1762, Der Calbenser Volksmund bezeichnet noch heute diese Färberfamilie, wiewohl dies Handwerk längst nicht mehr betrieben wird, mit dem Namen "Oll Farw". Ein Enkel
dieses ersten Herper in Calbe, ein Johann Christian Herper, seines Zeichens Kürassier, Schwarz- und Schönfärber heiratete 1786 die einzige Tochter des sehr wohlhabenden Calbenser Kaufmanns Werner Schmidt von der
Kaufmann Stapel'schen Stelle. Er wurde Großvater des altehrwürdigen, noch lebenden Tischlermeisters Robert Herper in Calbe. In dem alten, aus märkischem Eichenholz erbauten Hause, wurde also die Färberet betrieben,
und zwar links vom Torwege, in dem jezigen Pferdestalle.
Vor 80 Jahren waren noch viele Werkzeuge von der Schönfärberei vorhanden, so eine große Rolle, die zum Glätten der gefärbten die Stoffe diente, sowie einige Platten in Größe von Ofenkacheln, welche Stoffe mit
allerlei Oelfarben bedruckten. Der jezige Inhaber der Stelle bewahrt wohl noch pietätvoll einiges Material aus dem alten Betriebe auf. Von sonstigen Schönfärbern sind noch zu nennen ein Ewè, ein Miedel auf der
Tischler Weber'schen und ein Kaufmann und Färber Garz auf der jezigen Karl Eggebrecht'schen Stelle. Später hat dann der Färber Kindt, aus dem kleinen mecklenburgischen Orte Reka stammend, die Färberei modern
eingerichtet, und mit derselben ein Wäschegeschäft verbunden. Altväterliche, schöne Schränke zieren seinen Hausflur.
Die günstige Lage der Stadt an der Milde haben zeitweise auch ein Weißgerber Michael Schröder und ein Lohgerber Joh. Adam Becker genutzt. Wo diese Gerbereien gelegen haben, ist nicht bekannt.
Eine uralte Handwerksstätte ist die Schulz'sche Stellmacheret in der Stendalerstraße. Schon 1682 wird auf der Wallmann'schen Stelle die Rademacherei betrieben. Henning Schulze, der Rademacher in der Neustadt,
und 60 Jahre später Rademacher vorm Tor Johann Christoph Kerkau, sind direkte Vorfahren der Familie Wallmann, und noch heute, wie erwähnt, blüht die Stellmacherei auf der alten Stelle, aber hochmodern mit allerlei
Maschinenwerk aufgezogen.
Schuhmacher
Man hat die gute alte Stadt Calbe wohl auch die Stadt der Schuhmacher genannt und gewiß nicht mit Unrecht. Vor 150 Jahren kann man die Namen von 20 Schuhmachern finden. Mag mancher auch nur Gesell gewesen sein,
so beweisen doch diese Zahlen, wie dies Handwerk schon damals in Blüte gestanden hat. Und der verstorbene Meister Josef Hein hat mir erzählt, daß er 45 Schuhmacher in Calbe vorgefunden habe, als er seine Arbeit
im Orte aufnahm. Das mag so um 1880 gewesen sein. Zählt man nun heute die Handwerksmeister zusammen, so dürfte man schwerlich über ein Dutzend hinauskommen. Das solide Handwerk ist dem Fabrikbetriebe und dem
Warenhause zum Opfer gefallen, sehr zum Schaden der Güte. Die große Zahl der Fußkrankheiten ist auch eine Folge der serienmäßigen Fabrikation wohl eleganten, aber nicht zweckmäßigen Schuhwerks. Jedenfalls hat mein
guter alter Nachbar Hermann Dannehl, ein Veteran von 1870 mich seinerzeit mit solider Ware beliefert und mir immer treuherzig versichert "det is Kerrn, Herr Pastor".
Mühlen
Im Jahre 1923 wurde die an der Vahrholzerstraße gelegene Windmühle abgebrochen. Sie hat seit undenklichen Zeiten dort gestanden. Das Kirchenbuch nennt schon vor mehr als 300 Jahren einen Windmüller Jakob Landmann,
dann später solche namens Friedrich Schmidt und Jakob Borstel. Ein Sohn des lehtgenannten verunglückte tödlich, als er aus Uebermut einen Windmühlenflügel anfaßte, und von demselben herabgeschleudert wurde.
Ebenso verunglückte der Windmüller Mund 1729, als er bei Sturmwind auf einen Flügel kletterte, um einen Schaden abzustellen. Auch er stürzte ab und fand den sofortigen Tod. Die noch bestehende Wassermühle
war ursprünglich von Alvensleben'scher Besitz. Als Pächter werden genannt die Rodemüller (Rode-Rad) Fettback, Palm, Plank, Wegert. Dem alten Calbenser ist noch gut in Erinnerung der Wassermüller Wilhelm Müller,
ein Bruder des Kaufmanns Müller in der Thälmannstr. Nr. 1. Der Woatermüller, ein Calbenser Original und ein beliebter Sänger auf den alten Calbenser Sängerfesten, war ein Mitkämpfer der Freiheitskriege.
Auf dem alten Friedhofe zeugt ein Denkmal mit origineller Inschrift von diesem allseits beliebten Manne. Aus der einfachen Wassermühle sind durch die Tüchtigkeit des letzten Besizers, des unvergeßlichen
Otto Wernecke die Calbenser Mühlenwerke entstanden, welche ihre Produkte weit in die Provinz und sogar darüber hinaus liefern. Auf adligem Grund und Boden in der Nähe der Mühle wohnten auch die Fischer
und betrieben die adlige Fischereigerechtigkeit auf dem Burggraben und in der Milde. Innerhalb der Burg bewirtschafteten auch die Gärtner die herrschaftliche Gärtnerei, darunter der aus dem Thüringischen
zugezogene Vorfahr des Bauern Bernhard Lübeck. Auf der Burg wohnten auch Musikanten, Kunstpfeifer genannt, unter ihnen der oft genannte Kunstpfeifer Jürgen Klamor Bottmer, der Ahn der einst in Calbe weitverzweigten
und nun ausgestorbenen Familie Bottmer.
Scharfrichter und Henker
Ein unheimliches Handwerk hat in Calbe nicht gefehlt, das der Scharfrichter und Henker. Dasselbe galt als unehrliches Handwerk, und Leute, die es ausübten waren verachtet. Eine ehrbare Bürgerstochter reichte
einem Scharfrichter nicht die Hand zum Ehebunde. Auch übernahm niemand aus dem Bürgerstande eine Patenstelle in solchem Hause, wie auch jedermann den häuslichen Verkehr dort mied. Als Herr über das Leben seiner
Mitmenschen durfte freilich der Scharfrichter fünf Gevattern zu einer Taufe in seinem Hause nötigen, während sonst den anderen Bürgern nur drei Paten zugestanden wurden Aber es sind immer nur Angehörige aus
anderen Scharfrichterfamilien z. B. aus Gr. Apenburg, Beetzendorf, Stendal, Tangermünde als solche bezeichnet. Ein Einheimischer mied dieses vom Volksurteil als unehrlich verzeichnete Handwerk. Die alte Scharfrichterei
steht noch in der Vahrholzer Straße; es ist das Gagelmann'sche Haus. Die Stätte der Hinrichtung ist noch bekannt und wird im Volksmunde „Der Köppenberg" (heute Galgenberg bei Vahrholz) genannt. Der Berg ist abgetragen,
er lag vor dem von der Chaussee sich nach Vahrholz abzweigenden Wege rechter Hand. Das Grundstück gehört jetzt dem Bauern Friz Lemme in Vahrholz. Die Eintragung über die erste Hinrichtung im Kirchenbuche lautet
„Die Magd Gesa Maaß bei Joachim Piper am 14. Juli 1641 wegen Kindesmord ersäuft". Weiter heißt es 1654 „Palm Menken Frau enthauptet und ihre Tochter ersäuft wegen Kindesmordes, die erstere als Anstifterin, die zweite
als Täterin."
Zwei Frauen aus dem Drömling gestanden 1595 auf der Burg in Calbe unter der Folter schwerste Vergehen und Buhlerei mit dem Teufel, von dem die eine, Mette Bolte, das Zaubern erst gelernt habe, auch baden und
segnen mit allerleit Heilkräutern und Sprüchen. Drei Jahre war sie mit dem Teufel in der Walpurgisnacht auf dem Brocken. Sanna Martfels hatte es wohl noch ärger getrieben mit Schadenszauber und Teufelsbulschaft.
Beide wurden zum Feuertod verurteilt, letztere aber sollte zuvor auf einem Wagen öffentlich zur Richtstätte geführt und der Leib mit zwei Zangengriffen gerissen werden.(Details dazu auf dieser Seite unter Hexenprozess 1595)
Und wieder vollzog der Henker, namens Kindermann das Todesurteil, 1720 an einer Ilse Krüger wegen Kindesmordes und „säckte" d. h. ertränkte in einem zugebundenen, mit Steinen beschwerten Sack die Verurteilte
im Burggraben. 1786 wird ausführlich von einer Hinrichtung auf dem „Köppenberg" berichtet: „Joachim Christoph Liermann, Raubmörder, aus Vahrholz gebürtig, der zwischen Bismark und Hohenwulsch einen Händler erschlagen
und beraubt, hingerichtet von Scharfrichter Luft, der ungemein gut sein Probestück an ihm abgelegt, decollieret und seinen Körper aufs Rad geflochten." Zweifellos haben an solcher häßlichen Exekution viele Zuschauer
aus dem Ort und der Umgegend teilgenommen. Alte Leute wissen aus der Ueberlieferung von ihren Vorfahren noch von dieser letzten Urteilsvollstreckung auf dem Köppenberg zu erzählen. Die höhere Gerichtsbarkeit stand zu
damaligen Zeiten der adligen Herrschaft zu, während der Stadt die niedere Gerichtsbarkeit oblag. Mit der Einführung der Städteordnung wurde darin Wandel geschaffen. Die Scharfrichter kleiner Städte durften nicht mehr
ihren „unehrlichen Beruf ausüben. Aber da sie leben wollten, wurde ihnen die Verwertung des gefallenen Viehes überwiesen und ihnen damit die "privilegierte Abdeckerei" zugesprochen. So steht jetzt noch die Abdeckerei
an der Milde nordwestlich von der Stadt in den Bürgerwiesen. Genannt werden als Nach oder Scharfrichter ein Kindermann, Tiedner, Reinknecht, Klinkenstein und als letzter der oben erwähnte Luft. Heute findet man noch
in den Museen die Richtschwerter, Richtbeile sowie die anderen grausamen Folter- und Vollstreckungswerkzeuge aus dunkler Vergangenheit.
Holz, Hopfen, Heu
Man sagt, daß drei Nahrungszweige in Calbe groß geschrieben worden seien, die drei H., Holz, Heu und Hopfen. Von den Holzreichtum kann man sich wohl kaum noch eine Vorstellung machen. Galbe lag in der Bruchniederung,
Elser. Weidenbüsche, Birken und Eichen bedeckten die weite Umgebung. Die Verkehrswege werden ehedem Knüppeldämme gewesen sein. Bei der Anlegung, der Wasserleitung fand man in der Tiefe noch Knüppel nebeneinander
gelegt, darüber Steinpflaster und dann wieder einen Knüppeldamm. Auch uralte Eichenstubben wurden hie und da freigelegt und die Reste wieder mit Erdreich zugedeckt. Der Ackerbiürger brauchte zur Heizung außer dem
ihm gehörigen Wiesengebüsch und Werft kaum anderen Ersatz, wie ja auch heute noch Wasenbüsche beliebtes Heizmaterial bilden, Heufutter war auch die Fülle vor handen. Wiesenwachs spielt schon in alten Urkunden
eine Rolle und gab mit der Anzahl seiner Fuder die Größe der Wiesenflächen an, wie es natürlich den prächtigen Viehbeständen auf den saftigen Viehkoppeln bot; auch brachte es nicht nur volle Scheunen, sondern
wurde auch gern nach Gardelegen für die Kavallerte verkauft. Damit kam Geld ins Haus. Aber unter den 3 H. Stand das H des Hopfens weitaus an vorderster Stelle. Wann der Hopfenbau nach Calbe, mie überhaupt in die
Altmark gekommen ist, steht noch nicht fest. Aber als Mittelpunkt desselben entwickelte sich bald die ganze Gegend zwischen Calbe und Gardelegen. Im Jahre 1633 sollen aus der Altmark einige Tausend Wispel Hopfen
nach dem Auslande ausgeführt worden sein. Daran hat Calbe natürlich seinen großen Anteil geliefert, wie denn in manchem Jahre aus dem Städtchen über 1.000 Zentner ausgeführt sein sollen. Jedenfalls hat Calbe sich,
durch seinen Hopfenbau nach den Schrecken des 30jährigen Krieges bald wieder erholt. Die Fuhrherren, welche mit Pferd und Wagen den Ertrag in die Großstädte ausführten, wurden daher Hopfenführer genannt.
So weit das Kirchenbuch zurückreicht bis zum Jahre 1627, redet, es von Hopfenführern. Als erste werden genannt Andreas Beker u. Jakob Schmidt. Der letztere setzte nach seiner Rückkehr von solcher Fahrt in seinem
Hause durch Uebermüdung und unvorsichtigem Umgehen mit Licht sein Haus in Brand und kam dabei selbst im Feuer um. Und nun folgen wieder Namen auf Namen der Hopfenhändler, die auch Hopfenfahrer oder Hopfenmakler
genannt werden, Krüger, Heinemann, Micheel, Ahlemann, bis dann 1713 zuerst die Berufsbezeichnung Brauer einsetzt. Hans Reinecke, ein "Brauer" hat in diesem Jahre Hochzeit, also der erste Brauer, der selber Bier
braute, und dann sein Sohn Jakob Arnold Reinecke, 1737 erzählt das Kirchenbuch von einem Bauer Palm. In einer zu seinem Gehöft gehörigen Bude war eine Frau gestorben, welche als arme Frau keine Ruhestätte auf
dem Stadtkirchhose an der Kirche finden sollte. Schon längere Zeit vorher war der Ruf nach einem zweiten Kirchhofe in Calbe laut geworden, aber immer war ein solcher nicht bereit gestellt worden.
Da die Verstorbene aber beerdigt werden mußte, lud Brauer Palm kurzerhand den Sarg mit der Leiche auf einen Wagen und fuhr ihn nach Vahrholz. Gegen die Gabe von einer Tonne Bier an die Gemeinde Vahrholz
erreichte es der Mann, daß dort im Dorfe die Leiche beerdigt werden konnte. Wirklich ein häßlicher Handel. Aher Brauer Palm erreichte durch seinen üblen Streich noch mehr. Das von ihm gegebene Aergernis zwang
die unfreundlichen Calbenser denn doch, daß sie im darauffolgenden Jahre sich zur Anlage eines zweiten Friedhofes bereit finden ließen. Als Plasz wurde die Stelle dicht vor dem Salzwedeler Tore(heute Reisebür und Dannhauer, davor Molkerei),
auf welcher jetzt die Gärten von Woost, Herper und zum Teil auch die Straße an der Molkerel liegen, zur Verfügung gestellt. Nach der ersten dort begrabenen Frau Ilsabe Pehholz erhielt der Kirchhof den Namen Ilsenkirchhof,
auch Armeleutekirchhof genannt. Das war wirklich ein unfeiner Streich Palms. Er starb 1743. Nach seiner Zeit werden noch 3 Hopfenführer genaunt, Meinecke, Jakob Behrens und Hans Kummert.
Letzterer war der Enkel eines aus Mieste gekommenen Valentin Kummert, der sich in eine Ackerbürgerstelle in der Gardelegenerstraße (Gagelmann-Schulz) eingeheiratet hatte, indem er Katharina Stier,
Christoph Listen Witwe, 1673 ehelichte. Valentin Kummert ist somit der Calbenser Stammvater der Familie (Schulze-Kummert). Hans Kuminerts ältester Sohn Joh. Chriftoph Kumanert hat dann im Kirchenbuch die
Bezeichnung Reuter, Bürger, Hopfenhändler und Brauer. Der Brauer Ludolf Friedrich Schmidt war ein vielseitiger Mann Er war nicht bloß Brauer, sondern auch Stadtchirurgus, also Arzt. Dann tauchen drei
Brauergenerationen auf, Ahlemann, ein Brehm, ein Geng, der eine Witwe List heiratete, und ein List, der eine Kummert heiratete. Es folgt ein Wegert. Auch des Rektors Rogge Sohn wurde Brauer. Vor 100 Jahren
tut der ehemalige Windmüller Wöller in Calbe eine Brauerei auf. Um 1800 übernimmt ein Gerecke aus Immekath, die Brauerei auf dem jezigen Wachan'schen Grundstück; in 3 Generationen hat diese Familie die Braueret
inne. Die kleinste Brauerei war die Lübeck'sche in der Marktstr. (Hildebrandt). Ein Original muß Brauer Frank List gewesen sein sein Vorwirt hieß Frank, weshalb er Frank List genannt wurde. Er hatte seinerzeit
seine auf der jezigen Schulze-Kummert'schen Stelle stehende Brauerei an Kummert verkauft und tauschte die auf den Grundstücken Machan/Bottmer liegende Brauerei dafür ein. Seine verkaufte Brauerei wurde dann
von Kummert durch Hinzuerwerb der beiden Großkossaten- Stellen Lüders und Bottmer zu dem jezigen großen Calbenser Brauerei-Unternehmen ausgebaut. Frank List, so wird erzählt, verlor später viel Geld, und um sich
nun ferner vor Schaden zu schützen, trug er die ihm verbliebenen Vermögensreste von 20.000 Talern immer im Beutel bei sich. Da er sehr stark war, fand er im Bett keine Ruhe; er benutzte also einen Stuhl als
Ruhestatt, und ist auch im Stuhl gestorben. Es gab im ganzen sechs Brauereien: Kummert, List (jetzt Amtsgericht), Gerecke (jetzt Machan), Wöller (jetzt Voigt), Wegert (jetzt Blumentritt), Lübeck (jetzt Hildebrandt).
Sechs Brauereien, für Calbe mehr als genug. Aber wenn man vergleichsweise auf Gardelegen sieht, so ergibt sich dort noch ein ganz anderes Bild. Kurz vor dem 30jährigen Kriege wurden in Gardelegen unter 483
Feuerstellen (Wohnhäusern) 250 Brauhäuser gezählt. Es hatte also jedes zweite Haus eine Brauerei, d. h. eine Brauereigerechtigkeit zur Herstellung des Bieres für den eigenen Hausbedarf, viele natürlich auch zum
Verkauf. Das Gardeleger Bier soll ein ganz vorzügliches Bier gewesen sein. Man nannte es „Garlei" und besang es wegen seiner Güte in lateinischen, griechischen, hoch und plattdeutschen Versen. Ueberhaupt erfreuten
sich die altmärkischen Biere eines sehr guten Rufes. Das Salzwedeler Bier wurde "Soltmann" genannt, des Stendaler „Taubentanz", das Tangermünder "Kuhschwanz". Ob das gute altę Calbenser Bier diesen berühmten
Brauereierzeugnissen gleich gekommen ist? Wer will das sagen? An Braugerste hat es den Calbenser Brauereien nie gefehlt. Es wurde hier für den Zentner Braugerste ein Groschen mehr ausgegeben, und die Bauern der
Umgegend, sogar aus Thüritz und Zierau fuhren ihre Gerste lieber nach Calbe als nach Salzwedel. Jedenfalls wurde in Calbe in alter Zeit dem Biere tüchtig zugesprochen, und nicht dem Bier allein, sondern auch
dem Branntwein, wie es denn um 1750 die vier Branntweinbrennereien Arnold, Beye, Zacharias Schmidt und Samuel Schultze gab. Zuletzt blieb allerdings nur eine Branntweinbrenneret übrig, die Lübeck'sche in der
Marktstraße.
Kaufleute
In Calbe muß in alten Zeiten ein reges Geschäfts Leben geherrscht haben. Als es noch keine Eisenbahnen gab, bestanden doch für damalige Verhältnisse gute Verbindungen mit den beiden Städten Gardelegen und
besonders Salzwedel. Die große Kunststraße Gardelegen- Salzwedel oder besser Magdeburg-Hamburg wurde in den 40 er Jahren des vorigen Jahrhunderts auf Betreiben Friedrich Wilhelm IV. gebaut. Immerhin vermochte
man über Kremkau, Algenstedt, Hemstedt Gardelegen zu erreichen. Auf diesem Wege mochte der Hopfen über Gardelegen weiter nach Magdeburg oder Süddeutschland „abgeführt" werden. Der Verbindungsweg nach Salzwedel
besteht noch und berührte Güssefeld, den Dammkrug, Thüriz, Zierau, Büssen, Benkendorf, Malsdorf. Hier wurden die Kaufmannswaren von Salzwedel eingebracht. Ueberhaupt bestand ein sehr lebhafter Verkehr zwischen
Salzwedel und Calbe. Nicht nur, dass von Salzwedel das Frachtgut kam, die lieben Calbenser Geschäftsleute holten sich aus Salzwedel auch die wohlhabenden Kaufmannstöchter zu Ehefrauen, und es kamen aus dem
reichen Salzwedel mit so einer reichen Braut auch, wie der Altmärker sagt, ein „Stieg Dusender" oder wenn auch nicht ganz so viel so doch "ein Dusender wat", also einige Tausend Taler Mitgift nach Calbe.
Aber auch die Calbenser Töchter, von denen einst der Calbenser Kantorsohn Achaz Ludwig Balhorn in einem Briefe 1726 schrieb, daß es in seiner Heimatstadt viele hübsche und reiche Mädchen gäbe, mochten nicht
üble Partien sein, denn manch flotter Salzwedeler Kaufmannssohn führte eine von diesen gerühmten Calbenser Kaufmannstöchtern heim, und sie brachte ihm dann auch so eine „Stieg" Dusender oder vielleicht auch
nur ein „half Stieg Dusender" als Mitgift in die Ehe. Der Hopfen hatte ja manch schönes Vermögen in Calbe aufgehäuft. Jedenfalls berichtet das Kirchenbuch des öfteren von solchen glücklichen ehelichen
Verbindungen zwischen Salzwedel und Calbe. So finden wir ja auch bekannte Salzwedeler Namen unter den Kaufleuten in Calbe. Ein bedeutendes Geschäft muß das „an der Ecke" gewesen sein. Es ist damit die Thälmannstr-
und Gerichtsstraßen-Ecke gemeint. „Joachim Schulz an der Ecke" ist 1635 der Kaufmann zum Unterschied von Ackerbürger Joachim Schulz vorm Tor, d. h. in der Stendalerstraße, Vorfahr des Bauern Fr. Wallmann daselbst.
In demselben Jahre gab es einen Kaufmann Henning Tyleke, der zugleich das Amt eines Ratsherrn und Kirchenältesten bekleidete. Ein Kaufmann Christoph Steffens hat einen Kramergesellen, d. h. einen
Kaufmannsgehilfen; zu seiner Zeit wird auch ein Kaufmann Johann Viviani genannt. Wo diese Kaufleute gewohnt haben, ist schwer festzustellen. An der Haustür des Otto Kamieth'schen Hauses kann man noch den Merkurstab
erkennen als Zeichen, daß dort ein Kaufmann gewohnt haben muß. Von Bedeutung ist das Geschäft des Kaufmanns Hans Schmidt und seines Sohnes Werner Schmidt gewesen. Es ist das Stapel'sche Geschäft, dessen Wirtschaftsgebäude
noch auf den Umfang des einstigen Betriebes schließen lassen. Eine Notiz des Kirchenbuches anläßlich des Todes der Mutter des Werner Schmidt läßt auf eine großzügige Wohltätigkeit und einen erheblichen Wohlstand
schließen. Werner Schmidt, übrigens ein Vorfahr aller Familien Herper in Calbe, wird „Kauf- und Handelsherr genannt. Für die Stadt ist er als Senator, d. h. Ratmann eifrig tätig gewesen. Sein Lehrbrief aus Tangermünde
wird noch von dem Bauern Otto Herper aufbewahrt. Nachfolger auf seiner Stelle waren dann Stappenbeck, Haberland, Naumann, Michael und Stapel. Auf der oben genannten „Ecke" betrieb um 1750 ein Andreas Christoph Kleinloff,
auch Kleinlaub genannt, sein Kaufmannsgeschäft. Hier ist die Beziehung zu Salzwedel deutlich erkennbar. Einem anderen Kleinloff, der an einer anderen Ecke, nämlich Markt und Gardelegerstraße, einen Kramladen inne hatte,
sagten die Alten nach, daß sein Geschäftsgebahren keineswegs immer einwandfrei gewesen sei. In dem Richard Wesche'schen Hause entfaltete ein Onkel des jezigen Besizers, der Kaufmann und Ratmann Joh. Friedrich Brust,
eine eifrige Tätigkeit. Der Laden war im Flur und in der Stube linker Hand. Noch zeigt die Haustür allerlei bunte Scheiben, wie sie bei Kaufleuten üblich waren, und auch noch eine alte Hausglocke über der Tür erinnert an
den alten kaufmännischen Betrieb. Brust starb 1866 an der Cholera. Allen Calbensern ist noch das umfangreichste aller Geschäfte, das Bonneß'sche bekannt. Es umfaßte in der Gerichtsstraße die Häuser bis zum Seiler
Schulz'schen Geschäft. Neben diesen Kaufmannsgeschäften mit erheblichem Umsatz gab es noch viele kleinere Geschäfte, die Nadeler oder Kramnadeler oder Zwirnkrämer. Es waren das scheinbar Handwerker, welche nebenbei
ihre Kramnadeln verkauften, auch Beuteler, welche Geldbeutel oder Tabaksbeutel, also kleinere Sattlerwaren handelten. Die Kramnadeln wurden in Calbe von Kleinschmieden oder Schlossern geschmiedet und dienten zum
Tabackaufziehen Nähen von Säcken, Leinewand und Tuchen. Der zunehmende Verkehr, die Kunststraßen und vollends die Eisenbahnen haben dem alten Handel und Wandel den erheblichsten Schaden getan, und man begreift,
daß sich die Einwohner der kleinen Städte immer wieder energisch, aber schließlich vergeblich ihrem Bau widersetzt haben.
Gesundheitswesen, Ärzte, Apotheken
Interessant ist das Nachforschen über die Gesundheitsverhältnisse der alten Stadt Calbe. Die Stadt ist ja von der Milde umflossen und liegt auf sumpfigem Gebiet. In früheren Zeiten hat man nicht gewußt,
daß gerade die träge fließenden oder stehenden Gewässer Austeckungsstoffe in großer Menge und somit erhebliche Gefahren für die Gesundheit bergen. Die moderne, mit schönem Quellwasser gespeiste Wasserleitung
hat viele Uebelstände, so die ständige Typhusgefahr glänzend beseitigt. In früheren Zeiten haben die Seuchen furchtbar gewütet, und Pest wie Cholera hat entsetzliche Opfer gefordert. 1636 war für Calbe ein
schlimmes Pestjahr. 153 Personen starben an der Pest; in den ersten 7 Monaten nur 4 Menschen, aber in den letzten 5 Monaten des Jahres 149, also in einem Monat 30 Personen, jeden Tag ein Einwohner. Nach Calbenser
Gewohnheit wurde das Wasser der Milde für Kuchenzwecke zum Abwaschen, zum Baden oder gar zum Trinken benutzt. Auch drangen die Ansteckungsstoffe leicht in die offenen Brunnen. Grauenhaft hat die Pest z. B. in
Gardelegen im Jahre 1566 gewütet, indem dort 2.000 Personen starben. Es klingt wie ein schauriges Märchen, wenn in der Nikolaikirche in Gardelegen, unweit des Salzwedeler Kleinbahnhofes, noch der durch eine
Mauer abgeschlossene dunkle Raum in der Kirche! gezeigt wird, in welchen nach der Ueberlieferung die Pestleichen hineingeworfen wurden, offenbar weil die Beerdigungen der Opfer nicht so schnell erfolgen konnten.
Und an den Sonntagen fanden dann wieder die Gottesdienste in der Kirche statt. Menschen, die morgens noch froh und munter waren, nachmittags plötzlich Leibschmerzen bekamen und am ganzen Körper schwarz wurden,
erlitten oft schon abends einen qualvollen Tod. Den schwarzen Tod nannte man die Krankheit. Vom fernen Osten her, aus China kam die Seuche über die Welt, und nahm ihren Weg überall dahin, wo Menschen wohnten.
Eine einzige Schranke gab es für den Weg der Pest. Das waren unbewohnte, weitgedehnte Steppengebiete. Solche konnte sie nicht überwinden. Denn sie mußte sich an die Wege halten, auf denen Menschen verkehrten.
Wo keine Menschen lebten, erlosch die Seuche. Aber auf Umwegen, über Küstenländer zog diese Geißel der Menschheit von China nach Europa und wütete auf dicht bestedeltem Gebiet mit furchtbarer, wilder Grausamkeit.
Der Bapst Clemens VI. ließ eine Untersuchung darüber anstellen, wieviel Menschen an der Pest rund vor 600 Jahren gestorben seien, und seine Beauftragten berechneten, daß 43 Milionen Tote in aller Welt dem Beutezug
des schwarzen Todes hätten folgen müssen. Keine Nachricht verrät, ob und wieviel Opfer auch Calbe damals vor 600 Jahren hat dahingeben müssen. Nur ein Name und ein Haus erinnern an solche furchtbare Pestzeiten,
der Siechengang und das darin befindliche Haus, in welchem in der Pestzeit des 30 jährigen Krieges 1636, Pestkranke lagen und auch in christlicher Barmherzigkeit gepflegt wurden. Freilich starben im Siechenhause
damals viele Menschen, darunter "ein Weib, welches die Pestkranken in diesem Hause bediente." Sonst mied der Bruder die Schwester, und das Weib verließ den pestkranken Mann. Das Ende kam mit unerbittlicher
Pünktlichkeit spätestens am dritten Tage. Was tat man nun zur Abwehr der fressenden Pein? Bußlieder erklangen, Bittgänge führten in die Gotteshäuser, so z. B. in die Wunderkirche zum heiligen Kreuz in Bismark
und zu dem darinstehenden wundertätigen Cruzifix. Scharen von Geißlern' die sich selbst blutig peitschten und zerfleischten, durch zogen die gepeinigten Länder, Ausschweifungen schändlichster Art, und was alles
finsterer Aberglaube ersinnen mochte, alles das suchte die furchtbare Angst zu bannen und den Tobeszug der Seuche aufzuhalten. Das waren die Zeiten der Pest. Gewiß wurde alles mit dem Namen Pest bezeichnet,
was auch irgend eine andere Seuche sein mochte; mas man heute Cholera, Pocken oder Grippe nennt, sprach man damals als Pest an. Die erste ärztliche Kunst wurde zuerst von Geistlichen ausgeübt und in katholischen
Klöstern betrieben. Es wurden allerlei wunden- und schmerzenstillende Kräuter gesammelt und Mixturen zusammengestellt, Arzneibüchlein geschrieben, Pulver, Salben und Heilwässer empfohlen. In der alten Calbenser,
vom ersten evangelischen Prediger Elias Hoffmann stammenden Kirchenbibliothek ist mir solch ein uraltes Arzneibüchlein auch einmal durch die Hände gegangen. Aus dem Gedächtnis weiß ich nicht Verfasser und
Jahreszahl anzugeben. Aber einzelne Titel habe ich behalten, die von Salben und Bädern und Schwitzen, von Fieber, Erbrechen, vom Genuß der Fisch und Obstgerichte in langen lateinischen Ausführungen reden.
Es sind darin also die guten alten Haus- und Heilmittel angeben. Später vertrieben die Marktschreier ihre Wundermixturen und Lebenswässer auf den Märkten mit großem Stimmaufwand, und manch einer aus der gaffenden
Menge trug sein für gutes Geld erworbenes Aquarit, das zumeist aus unschuldigem, reinen Wasser bestand, beglückt nach Hause. Auch nahmen gern die Barbiere in den Städten und Dörfern sich der Kranken an.
In Calbe erscheint ein M. Hans Rech, ein Bader 1629. Zur Taufe einer Tochter hatte er die vier Pastoren aus Güssefeld, Estedt, Büste und Berge als Paten geladen. Wollte er Reklame machen oder war er schon ein Mann
von Ruf? Aber 1643 hält ein Nicolaus Merk, Bader, Badstüber und glücklicher Wundarzt in Calbe mit Anna Dahle, der Schwester des Pastors Dahle in Calbe, Hochzeit. Der Titel hört sich schon gelebrter an, und die
Heirat mit der Pastorenschwester hebt auch seinen Ruf. Aber 1694 erscheint ein Herr Hans Schmidt in Calbe als Okulist, Stein- und Bruchschneider. Da hat man damals schon vor solchem gelehrten Herrn ein angenehmes
Gruseln lernen können. Und wir Menschen von heute denken dabei an den ungefähr zur selben Zeit lebenden Dr. Eisenbart, der nach langen Wanderfahrten sich 1703 in Magdeburg niederließ und das Wohn- und Brauhaus
Zum güldenen Apffel für 3.000 Taler kauft und sofort 2.890 Taler bar auf den Tisch legte, also schon ein gutes Stück Geld verdient hatte. Auch in Berlin gab besagter Dr. Eisenbart als „Kayserlicher, auch
verschiedener Chur- und Fürsten privilegierter medicus und operator seine Rolle. Seine Arznei und Geheimmittel fertigte er selbst an, und hatte das Privileg, seine Mittel innerlich und äußerlich allerorten
anwenden zu dürfen. Die Sage hat ihm allerhand Gewaltkuren zugeschrieben, vielleicht mit Unrecht, denn ein bedeutender Arzt ist er seinerzeit bestimmt gewesen. Das zeitgemäße Spottgedicht tut ihm doch wohl Unrecht,
wenn es sagt: „Kaum hat ein Eisenbart, der alle Kranken heilt, durch offenen Trommel-Schlag die Zettel ausgeteilt, so kommen alsobald die Kranken angezogen, und doch ist seine Kunst erstunken und erlogen."
Tadelnswert ist sein marktschreierisches Auftreten. In Hannoversch-Münden ist er begraben und an der Wand der Aegidienkirche ist heute noch sein Denkmal zu sehen.
20 Jahre lang war von 1740 an in Calbe eines dortigen Wachtmeisters Andreas Schmidt Sohn, nämlich Ludolf Friedrich Schmidt Feldscheer, Stadtchirurgus und Brauer. Der Mann betrieb also noch nebenbei das
Brauereigeschäft. Zu seiner Zeit gab es noch einen zweiten Arzt in Calbe, namens Göring, der eine Wendeborn zur Frau hatte. Er wird Landchirurgus genannt. Wir treffen dann weiter einen Chirurgus Gottlieb Werner,
einen Chirurgus Nicolaus Lambert und einen Arzt Wendeborn. Das ist der Großvater des uns allen noch wohl bekannten Dentisten, Heilgehilfen und Barbiers Wendeborn. Um 1800 gibt es sogar 3 Aerzte, einen
Friedrich Palm, Calbenser Kind, Sohn eines Schuhmachers, einen Matthias Wilhelm Richl und in der Marktstraße einen Ernst Güssow, Vorfahr der Güssefelder Pastorenfamilie Güssow. Wieder erscheinen zwei gebürtige
Calbenser als Aerzte, Joh. Joachim List und mit ihm sein Sohn Joh. Christoph List, später ein Werlitz, genannt Bürger und Chirurgus, und wieder ein Calbenser Kind, der Chirurgus und Accoucheur Joh. Heinrich Palm.
Vor rund 100 Jahren praktizierte in Calbe ein Reinhold Sander als Wundarzt und Kaufmann. Er war in Haynau (Schlesien) geboren, wurde Apothekerlehrling und dann Arzt. Gewiß war der Mann nicht untüchtig, da sein Wissen
allerlei kaufmännische, pharmazeutische und medizinische Kenntnisse umfaßte. Er wohnte im jetzigen Rathause. Die folgenden Aerzte sind noch in guter Erinnerung, der Militärarzt Reip, verheiratet mit einer Mehden und
Schwager des Bürgermeisters Plaideur, der später nach Arendsee übersiedelte, und der Sanitätsrat Danneil, Sohn des hochbedeutenden Geschichtsforschers und Salzwedeler Gymnasialdirektors Joh. Fr. Christoph Danneil,
des berühmten Calbenser Kindes. Damit sei das Verzeichnis der Aerzte geschlossen. Jedenfalls sind die alten Calbenser von ihren ärztlichen Mitbürgern niemals schlecht beraten worden. Sie waren zum großen Teil
miteinander durch Blut und Boden verwachsen, die Calbenser und ihre Aerzte.
Es wäre noch etwas von Apothekern aus alter Zeit zu erzählen. Die älteste Apotheke der Altmark scheint in Stendal gewesen zu sein, wenn nicht die Hof- und Schloßapotheke auf der Schloßfreiheit in Tangermünde,
über deren Gründung nichts bekannt ist und die um 1600 eingegangen sein muß, älter war. Der erste Apotheker in Stendal Johann wird 1350 genannt." So schreibt der altmärkische Geschichtsforscher Zahn. Die ersten
Apotheker haben in ihren Laboratorien viel probiert, haben den Stein der Weisen gesucht und sich wohl auch in der Geheimkunst der Alchymie, der Goldmacherei, betätigt. Auch gelten sie als die ersten Konfektbäcker und
stellten allerlei Süßigkeit, mit Kräuterextrakten Zimmet, Nelken, Ingwer und Piment vermischt, her. Diese süße Kunst ist nun längst in die Konfitüren und Schokoladenfabriken übergegangen. Aber ein feierlicher
Augenblick war es, wenn der ehrwürdige Apothekenbesizer Oswald Senff in Calbe an der Milde, sich den weißen Apothekerrock anzog und feierlich das Weihnachts- und Gewürzkonfekt zubereitete und abschmeckte.
Das war schon ein unentbehrliches Stück Weihnachtsvorfreude. Da wurden zu solch feierlichem und geheimnisvollem Tun auch die Kinder der Nachbarschaft und des weiteren Verkehrskreises eingeladen, und bekamen
dann beglückt ihr süßes Dezem ab. Manch einer wird noch dankbar des würdigen und gütigen Herrn gedenken. Die alten Apotheker sammelten persönlich all die Heilkräuter in Wald und Feld ein und kamen dann mit
gefüllter Botanisiertrommel wieder heim, um ihre mitgebrachten Schätze zu verwerten. Manche durchzogen auf solchen Reisen den Harz und den Thüringerwald, oder durchquerten gar ganz Deutschland oder wanderten
womöglich mit ihren Taschen und Beuteln bis über die Alpen, um in dem warmen Süden die Heilkräutlein zu suchen, welche der kältere Norden nicht bieten konnte. So hat es unter ihnen bedeutende Forscher und Botaniker
gegeben, die über den kleinen Betrieb ihrer heimischen Apotheken weit hinauswuchsen und der Arznei und Heilkunde die wertvollsten Dienste geleistet haben. Das nüchterne Kirchenbuch in Calbe nennt 1780 einen
Calbenser Apotheker Joh. Gottfried Paalzow. Wie glücklich mochten die Calbenser damals gewesen sein, daß sie ihre „Waren", wie der Altmärkers die Medizin nennt, nicht mehr aus Gardelegen oder Salzwedel zu holen
brauchten, womöglich im ermüdenden Fußmarsch. Und die Kranken brauchten auch nicht mehr so schmerzlich lange auf Tränklein und Pillen zu warten. Um 1800 wird ein Apotheker Joh. Cristoph Hafner genannt,
um 1820 ein Apotheker Grünewald, dessen Sohn Pastor in Winterfeld wurde. 1844 wird der Apotheker Rougemont bezeugt, im Beckmann'schen Hause in der Thälmannstr. lag seine Apotheke. Und vor etwa 60 Jahren erwarb
der Apotheker Senff aus der Gegend von Berkau das Hauptmann Schulz'sche Haus und baute es zu einer zeitgemäßen Apotheke aus, die in drei Generationen von der Familie Senff peinlich und gewissenhaft verwaltet wurde
zu Nutz und Frommen der Stadt Calbe und Umgebung. Manch selbst gesammeltes Kräutlein, manche selbst zerriebene Salbe und selbstgedrehte Pille ist in diesem Apothekerladen bangenden und verängstigten Calbensern
dargereicht worden und hat Schmerz und Leid behoben vielen Calbenser Bürgern.
Schlusswort
Alte Bilder aus der guten Stadt Calbe, Streifzüge durch die Vergangenheit! Keineswegs vollständig und er schöpfend die Notizen, aber zusammengelauscht aus manchem schon verstummten Munde, und zusammengesucht in
der besten und wahrsten Quelle der Ortsgeschichte, dem Kirchenbuch auf der Oberpfarre. Hätten wir doch nur mehr derartiger Quellen! Aber die Vergangenheit hat nicht nur aufbewahrt; sie hat auch leider so
unendlich viele alte Zeugnisse und Urkunden zerstört, Akten vergraben und verbrannt Denksteine beseitigt und zerschlagen, daß diese alten Zeugen nicht mehr berichten können von Freud und Leid, von Ernst und
Scherz aus der guten alten Stadt Calbe. Noch mag auf den Böden und den Truhen alter Häuser vergessenem Hausrat manch wertvolle Nachricht schlummern und darauf warten, einmal wieder hervorgeholt werden zur
Freude der Nachkommen.
Entnommen einem Aufsatz aus den Jahren 1934 - 1937 "Wir grüßen die Geister der Heimat" - Etwas von Handwerk, Gewerbe, freien Berufen in der guten alten Stadt Calbe (Milde), (7 Folgen in den altmärkischen Nachrichten Calbe) vom ehemaligen Pfarrer Mosenthin
Spezielle Bezugnahmen zum 3. Reich wurden entfernt, auch die Straßennahmen wurden den heutigen angepasst. Einige weitere Ergänzungen wurden durch Henning Krüger vorgenommen, da es auch verschiedenste Bezugspunkte zu den auf dieser
Hompage in bereits veröffentlichten Aufsätzen gibt. Bei meinen Besuchen in den verschiedenen Archiven, sei es Potsdam oder Magdeburg, habe ich sehr häufig in den Benutzerkarteien auch den Namen Mosenthin gefunden.
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