Geschichten über Kalbe Milde
 

 



 

 

 
Das Theater und das Laienspiel in Kalbe

(von Wilhelm Schulze)
Nach den Aufzeichnungen der altmärkischen Historiker über die kulturelle Entwicklung in unserer Stadt muss man die Mitte des 19. Jahrhunderts als die erfolgreichste ansehen. Das geht aus der Gründung des Theatervereins, des Gesangvereins, des Turnvereins und des Radfahrvereins hervor.

Es darf natürlich nicht angenommen werden, dass unsere damals ländliche Kleinstadt keinen Ansatz für Gesang und Spiel gehabt hat. Mit besonderem Stolz erzählten unsere Eltern und Großeltern von dem geselligen Treiben in den Spinnstuben. Welch' schöne Erinnerungen knüpften die Älteren an die lustigen und unterhaltsamen Zusammenkünfte der Handwerksgesellen im "P o t t". Das war die Schankwirtschaft Wilhelm Meinecke und zugleich das Elternhaus meiner Mutter. Mein Großvater, auch Sänger, war dann mitten unter ihnen und manchen Krug Braunbier mag er für ein schönes Lied verschenkt haben. Und für Polterabende und Jubiläumsfeiern fanden sich die jungen Leute zusammen.

Dann tauchte das Wort "Laienspiel" auf. Das Theaterspiel von Laien, das im bewussten Gegensatz zum Künstlertheater die einfachen Spitzenkräfte, die in jedem Menschen ruhen, wecken will. Es entwickelt eine auf Brauchtum, Reigen und Tanz und volkhafte Feierüberlieferung gestützte Spiel- und Ausdrucksform.

Das war der Anstoß für eine Gruppe, besonders Handwerker, die eine Theatervereinigung mit Namen Conkordia gründeten. Ein alter Sohn unserer Stadt, G. Hesselbarth, der Autor des Buches die Altmark, schreibt ausführlich über den Theaterverein Conkordia. Ehrbare Bürgersöhne und Bürgertöchter waren die Schauspieler. Es wurden vor allem Volksschauspiele oder Possen gespielt, aber fern von jeglichem gemeinen oder unsittlichem Inhalt. Fast die ganze Stadt gehörte der Conkordia an. Eintrittsgeld wurde nicht erhoben, dafür ein kleiner jährlicher Beitrag. Nur wenn für die Armen gespielt wurde, hatten auch Nichtmitglieder Zutritt. Im Sommer ruhte das Theater. Die Theateraufführungen der Conkordia fanden im November, am Silvesterabend, im Januar, Februar und März im Dannehl'schen Saal statt. Der Saal war oben im jetzt Henselschem Haus (heute Verkaufseinrichtung der Mildena und Herrenfriseur). Viel Mühe kostete es, die Rollen einzustudieren. Zuerst fand bei Schulten Jochen, der als Souffleur wirkte, eine Leseprobe statt. (Das war der Vater von Goldschmiedschulz.) Wenn Fremdwörter vorkamen, dann musste Rektor Spröde aushelfen, damit kein Unsinn auf der Bühne gesprochen wurde. Ein großes Verdienst hatte der Färber Jahn, Geselle bei Färbermeister Garz und August Dannehl, später Schuhmachermeister, um das Schauspiel. Der Ruf der Conkordia ging über die Grenze der Stadt hinaus und zog viele auswärtige Besucher an. Als Mitspieler werden erwähnt: W. Wulkow und seine Schwester Lottchen (Putzgeschäft im Hause W. Jennrich), Karl Hoffmann (Barbierherr und Großvater von Alfred Hoffmann). Den habe ich noch gekannt und die Schauspielerei hat sich in dieser Familie übertragen auf dessen Sohn Hermann Hoffmann und dessen Sohn Alfred Hoffmann. Besonders der Nachfolger Hermann Hoffmann ist wohl der populärste Laienspieler der folgenden Jahre gewesen. Sein Talent und sein Humor hat immer Freude und Begeisterung ausgelöst. Er war besonders ein Intervent von Otto Reutter. Hierzu muss auch einmal erwähnt werden, dass Hermann Hoffmann nicht nur ein Meister unseres Laienspiels war. Auch im gesellschaftspolitischen Leben in unserer Stadt hat er eine hervorragende Rolle gespielt.

Sein sachlicher und kluger Rat hatte im Stadtparlament, in Vereinen und Organisationen immer eine besondere Wirkung. Bis zu seiner Erblindung setzte er sich besonders für die Sozialfürsorge ein. Sein Name sollte nicht so bald vergessen sein. Weitere Mitglieder waren H. Wilke, Alwine Lindner, Wilhelm Hahn, Baumanns Minchen, Dannehls Fritz, Wilhelm Meinecke (mein Großvater), Lottchen Teitge, W. Herper, Beyers Fritz (Töpfer), Emma Genthe, Minchen und Hermann Engel, Fritz und Minchen Schmidt (Drechslermeister). Ich habe beide noch gekannt. Wir wohnten in ihrem Haus und Minchen Schmidt hatte im Alter noch eine schöne Singstimme. Ihre Tochter und der Schwiegersohn Sattlermeister Pupke-Schulz haben sich besonders verdient gemacht. Weitere Mitspieler waren Riekchen und Fritz Lembke, August und Johanna Eggebrecht (Gieseckes Stelle), Feilhaber und Marie Akenhausen (Bäcker Ahrndt) und andere.

Später bildete sich noch der Arbeitertheaterverein "Elysium". In diesem waren vor allem die Arbeiter und die Dienstboten als Mitglieder. Auch in diesem Verein bildete sich eine Spielergruppe, die als Laienspieler gute Leistungen boten. Sie begnügten sich aber mit Bühnenspielen bei eigenen Vereinsveranstaltungen. In so kleinen Landstädtchen wie Kalbe ist es nun einmal so, dass die Kulturfreunde und Kulturschaffenden fast immer die selben, wenn auch in verschiedenen Vereinen sind. So war auch kein Wunder, dass der Theaterverein Conkordia in dem schon bestehenden Gesangsverein "Lübeck'sche Liedertafel" aufging. So war es nur natürlich, dass sich in allen bestehenden Vereinen kleine Laienspielgruppen bildeten, die dort mehr oder weniger gut Theater spielten. Die Bürger unserer Stadt waren bisher verwöhnt! Jedes Jahr gastierte in Kalbe auch für einige Wochen ein Wandertheater. Unter anderen die Truppe von der Osten. Die Darbietungen waren nicht schlecht, aber unsere Bürger wollten immer lieber "unsere" sehen und der Besuch bei der Truppe ließ manchmal viel zu wünschen übrig. Diese verlegte die meisten Abende auf die umliegenden Dörfer.

Und dann, es war in den Jahren nach 1900, tauchten hier neue Namen auf, die eine neue gemeinsame Laienspielgruppe aufbauten. Das waren Malermeister Robert Pauls, Bahnhofswirt Richard Wichmann, Barbierherr Hermann Hoffmann und Steinsetzmeister Bollinger. Bis dahin war das Schauspiel oder Drama das Hervorragende. Stücke "Mutter Gröbert" v. Moser oder "Beim Kreuz'l im Tannengrund" v. Anzengruber brachten alle Besucher zu Tränen gerührt. Dann war es am schönsten gewesen. Die neuen Männer aber waren alles Spieler mit Temperament und Humor und das wirkte sich nun erfolgreich auf das Programm aus. Statt Tränen nun Lachen und Freude. Nur bei Veranstaltungen des Krieger- und Landwehrvereins musste ein zackiges Militärstück gespielt werden und Hermann Hoffmann und später sein Sohn Alfred Hoffmann verkörperten dann immer das Original eines wenig geistreichen Burschen mit größtem Lacherfolg. Es dauerte nicht lange und die Laienspielgruppe hatte ihre alte Leistung und Beliebtheit wieder erreicht. Der Wirt des Gesellschaftshauses Hermann Küster, auch ein Freund der Gruppe, ließ eine neue Bühne bauen, die spielerischen Anforderungen gerecht wurde. Für die Beschaffung der Theaterstücke hatten wir, ich war auch in der Truppe, einen Vertrag mit einem Theaterverleihgeschäft und alle Garderobe lieferte nach Maß das Kostümverleihhaus Schachel Braunschweig. Die gesamte Bühnenausstattung stellte Hermann Küster zur Verfügung. Der erste Weltkrieg mit seinem Zusammenbruch hat auch unsere Laienspielgruppe zerstört. Aber bald lebten die Vereine wieder auf und damit der Wunsch nach einer Laienspielgruppe.

Ich übernahm die Leitung und alle bewährten Spieler wie Alfred Hoffmann, Ilse und Hermann Breetz, Lisa Küster, Anni Blume, Martin Schulze, Ilse Fehse, Lotti Ahrns, Liesbeth Schröder, Franz Meinecke, Walter Wrede und andere. Wir alle setzten die alte Tradition fort und steigerten unsere Leistungen bis zur Operette.

Mit der Naziherrschaft wurde unserer Laienspielgruppe ein Ende gesetzt. Nur kontrollierte und im nazistischen Geist oder Ungeist gehaltene Theater und Werbestücke wurden zugelassen. Das war den Spielern und auch unseren Theaterfreunden nicht zumutbar. Nach dem zweiten Weltkrieg, der auch in unserer Spielgruppe Lücken gerissen hatte, versuchten wir wieder einen Aufbau. Mit kleinen Theaterstücken und mit dem Vierakter "Kleider machen Leute" erfreuten wir die Besucher verschiedener Veranstaltungen. Durch wirtschaftliche Veränderungen einiger Spieler und durch die staatliche Anordnung über die Betreuung Kultur und Sport durch den FDGB musste sich unsere Gruppe auflösen. Wohl bemühte sich noch eine Bauernbühne und die Spielgruppe Eisenbahn um das Laienspiel.

 
 
 
 
 
   
  
 

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